Frau Müller muss weg

Biografische Theater-Eigenproduktion der Klasse 6a der Erika-Mann-Grundschule
Präsentiert im Rahmen des Neuköllner Theatertreffens der Grundschulen am 16. Mai 2013

In der 6. Klasse gibt es ein großes Thema: Auf welche Schule gehe ich nach der Grundschulzeit? In Berlin fragen sich die SchülerInnen: Gehe ich auf ein Gymnasium oder auf eine Sekundarschule?

Die Kinder sagen (und denken): Wer schlau ist, kommt auf’s Gymnasium. Der Rest geht an die Sekundarschule. Es ist gleichgültig, wie sehr ihre LehrerInnen dieser Sichtweise widersprechen und versuchen, aufzuklären: Der gnadenlose Kampf um die Noten beginnt. Und es ist nicht nur ein Kampf der Kinder. Es ist vor allem auch der Kampf der Eltern.

Der Theater-Autor Lutz Hübner hat darüber ein Theaterstück geschrieben: »Frau Müller muss weg«. Dieser Text war Ausgangspunkt für unsere Arbeit.

Im Deutschunterricht las die Klasse eine von mir angefertigte Strichfassung des Originals von Lutz Hübner. Dazu gab es kreative Schreibaufgaben mit unterschiedlichsten Anforderungsprofilen in Form einer Wochenplanarbeit.

Der Original-Text wurde szenisch gelesen, immer wieder in kleinen Teilen vor der Klasse aufgeführt und von dieser besprochen. In den Schreibaufgaben setzten sich die SchülerInnen mit ihren eigenen Schulerfahrungen, den Erwartungen ihrer Eltern, ihren Ängsten und ihren Zukunftswünschen auseinander. Auf diese Weise entstand eine Vielzahl biografischer und fiktionaler, eigener Texte (zum Beispiel Erlebnistexte, Traumtexte, Albtraumtexte, Märchengeschichten zum Thema Schule).

In einer schön gestalteten Kiste wurden alle entstandenen Texte aufbewahrt und im Theaterunterricht als Spielanlässe genutzt.

Im Theaterunterricht (der zweistündig pro Woche statt fand), lernte die Klasse neben Warm-ups, Konzentrationsspielen und Übungen zur Körperpräsenz eine Reihe von theaterästhetischen Mitteln kennen, die sie in Gruppenarbeit zunehmend selbständig bei eigenen Szenenentwürfen anwendeten. Die ästhetischen Mittel wurden in Form von Spielkarten ständig visualisiert und im wahrsten Sinne des Wortes »ins Spiel gebracht«. Auf diese Weise lernten die Kinder eine theatrale Sprache, mit deren Hilfe sie sich über Möglichkeiten der Ästhetisierung ihrer Inhalte und deren beabsichtigte Wirkung verständigen konnten.

So entwarf eine Gruppe von fünf SpielerInnen beispielsweise mit Hilfe der Spielkarten eine Szene zum Thema »Angst in der Schule« und präsentierte diese den anderen SpielerInnen, welche ihnen daraufhin ein zunehmend konkreteres Feedback im Hinblick auf die Wirkung der eingesetzten ästhetischen Mittel gab.

Das Feedback-Verfahren bildete einen festen Bestandteil der Proben: Ausgehend von der Benennung und der möglichst genauen Beschreibung von »Lieblingsmomenten« lernten die SpielerInnen zunehmend konkreteres, konstruktives Feedback zu geben, welches die Grundlage für die weiteren szenischen Entwürfe bildete.

JedeR SpielerIn entwarf darüber hinaus eine Figur, die er/sie auf der Bühne repräsentierte. Wir folgten dabei einem performativen Konzept, bei dem Schnittmengen zwischen SpielerIn und Figur beabsichtigt waren.

In zwei Szenen spielten die SchülerInnen ihre Eltern – und sprachen dabei teilweise den Originaltext von Hübner.

Grundsätzlich wurden die eigenen Texte der SpielerInnen von mir nicht bewertet. Eine Auswahl von Szenen und Texten erfolgte über das Feedback-Verfahren und führte zu einer zunehmenden Verdichtung des dramaturgischen Konzepts. Diese Verdichtung fand durch den Prozess des Probierens und Reflektierens der SpielerInnen untereinander statt.

Durch die Gegenüberstellung der biografischen Teile der Kinder mit den Textpassagen von Lutz Hübner entstand eine komische Brechung, die teilweise auch nachdenklich stimmte. Insbesondere in den Traumsequenzen wurde der Druck spürbar, den die Kinder in ihrer derzeitigen Situation unbewusst oder bewusst erleben. Demgegenüber stand ihre Ausgelassenheit und Spielfreude, ihr Witz und ihre ansteckend charmante Frechheit, sich im Spiel über Autoritäten (LehrerInnen, Eltern) hinweg zu setzen. »Traut uns mal was zu!«, schienen sie zu sagen, »Um uns müsst ihr euch jedenfalls keine Sorgen machen!«.

»Frau Müller muss weg« ist eine kleine, freche Collage geworden, in der uns die Kinder einen Spiegel vorhalten und uns daran zweifeln lassen, ob alles in der Schule tatsächlich immer so sinnvoll ist… In dieser Hinsicht sind sie zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wie der Autor Lutz Hübner.

Der am häufigsten geäußerte Wunsch in ihrem Stück lautete übrigens:
Die Noten müssen weg! 🙂