Der Film »Men & Chicken« und Inklusion

Der aktuelle Film »Men & Chicken« von Anders Thomas Jensen ist ein sehr komischer, böser und kluger Film. Darüberhinaus ist es aber auch der Film der Stunde zum Thema Inklusion.

Anders Thomas Jensen konfrontiert uns in »Men & Chicken« – wie auch schon in seinen vorherigen Filmen »Flickering Lights«, »Dänische Delikatessen« und »Adams Äpfel« – mit Charakteren, die wir auf jeden Fall außerhalb des durchschnittlichen Verhaltens-Spektrums verorten.

Anders ausgedrückt: Wir haben es hier mit Figuren zu tun, die uns zunächst irritieren, verstören – oder vielleicht sogar abstoßen. Doch Jensen liebt seine Figuren und schafft es auf unglaubliche Weise, dass auch wir Zuschauer sie im Verlaufe des Films liebenswert finden – oder doch zumindest Sympathien und Verständnis für ihre Perspektive auf die Welt entwickeln.

Men & Chicken und Inklusion
Das ist – wie ich finde – ziemlich bemerkenswert, wenn man es unter dem Aspekt Inklusion betrachtet:

Könnten wir im Alltag das schaffen, was Jensen in seinen Filmen immer wieder gelingt, – nämlich liebevoll und nicht bewertend auf unsere Mitmenschen zu blicken – dann hätten wir eine andere – und wie ich finde – bessere Gesellschaft. Dann »könnte Deutschland Inklusion«.

Wie auch schon in »Flickering Lights« und »Adams Äpfel« lädt uns der dänische Regisseur Anders Thomas Jensen mit tiefschwarzem Humor ein, unsere Schmerzgrenzen auszuloten – Grenzen, mit denen wir uns konfrontieren müssen – wenn wir nicht nur über Inklusion REDEN – sondern Inklusion überhaupt erstmal in seinen Dimensionen begreifen und vor allem LEBEN wollen.

Warum wir Inklusion leben sollten? – Ich glaube, um zusammen einigermaßen glücklich zu werden, haben wir gar keine andere Wahl.

Warum Inklusion in Deutschland bisher scheitert
Obwohl das Wort Inklusion in aller Munde ist, scheint es damit in unserer Gesellschaft noch nicht so richtig zu klappen. Wie schon an anderer Stelle hier erwähnt, scheitert Inklusion derzeit häufig daran, dass in unseren Köpfen – bewusst oder unbewusst – noch immer von einer Norm aus gedacht wird, an die beispielsweise »Behinderte« oder andere »Andersartige« angepasst werden sollen.

Dabei geht es tatsächlich um einen grundsätzlichen Perspektivwechsel, der nicht von der Norm ausgeht, sondern von der Tatsache, dass alle Menschen verschieden sind – und dass alle Menschen verschiedene Defizite, vor allem aber verschiedene Potenziale haben.

Vielfalt als gedanklicher Ausgangspunkt zur Lösung unserer gesellschaftlichen Probleme
Erst, wenn wir die gegebene Vielfalt zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen machen, haben wir eine Chance, die derzeit großen Debattenthemen über die Formen unseres Zusammenlebens konstruktiv anzugehen: Das Elend der Flüchtlinge, die Krise des Kapitalismus, die europäische Idee, das Wiederaufflammen des Nationalismus, Bildungsungerechtigkeit, die wachsende Schere zwischen arm und reich.

Notwendiger Perspektivwechsel auf das Thema Inklusion
Wie kann der Perspektivwechsel gelingen? Fangen wir erstmal etwas kleiner an: Ich schlage vor, zunächst einmal die Filme von Anders Thomas Jensen zu schauen – und derzeit den aktuellen Film: Men & Chicken.

Unsere heimlichen Toleranzgrenzen
Was macht Jensen in diesem Film? Er konfrontiert uns sehr geschickt und abgefedert durch Schwarzen Humor und Skurrilität mit unseren inneren, kleinen Tabu-Zonen. Wir denken Das geht ja gar nicht! und lachen aber, weil: Es ist ja nur ein abstruser Film…

Diese kleinen oder größeren Grenzüberschreitungen bei »Men & Chicken« lassen uns die eigenen Schmerzgrenzen spüren – die wir als aufgekärte, super tolerante PC Vertreter natürlich immer leugnen würden – die aber ein eindeutiger Beweis unseres normierten Denkens sind.

Es fällt uns schwer, zuzugeben, dass wir uns ständig an einer Norm orientieren (wie »man sein soll«) und dass wir dadurch automatisch das Abweichende als defizitär einstufen. Als Politisch Korrekte wollen wir das natürlich nicht wahr haben…

Deswegen braucht es einen Regisseur wie Jensen, der es schafft, in diese, unsere überhebliche Selbstgewissheit ganz leichte Risse rein zu krisseln: Ein kleines, inneres Zucken nehmen wir in seinen Filmen immerhin schon mal wahr:

Bei »Flickering Lights« als Mads Mikkelsen gleich in der ersten Szene einen »Ausländer« zusammentritt und fast tot prügelt, oder sich in einer späteren Szene mit einem schrulligen Nachbarn für Waffen begeistert und damit leidenschaftlich ein paar Kühe auf der Weide abknallt.

Ähnliche Szenen gibt es auch in »Adams Äpfel« – aber »Men & Chicken« treibt es noch ein bisschen weiter auf die Spitze… Hier schafft es Jensen, dass wir Sympathien und Verständnis entwickeln für Männer mit cholerischen Anfällen, die auf die Köpfe anderer mit ausgestopften Tieren einprügeln und schräge Sexpraktiken pflegen, unter anderem Sex mit Tieren…

Political Correctness als Vermeidungs-Strategie
Alles theoretische Gerede zum Thema Inklusion schafft nicht das, was Jensen in seinen Filmen schafft:

Um zu verstehen, worum es bei Inklusion überhaupt geht, muss ich erstmal merken, wo eventuell meine Schmerzgrenzen sind- bzw mir EINGESTEHEN, dass ich überhaupt welche habe.

Poltical Correctness ist bei uns zu einer oberflächlichen Geste erstarrt, mit der wir unsere kleinen, heimlichen Intoleranzen verbergen und sie in die Tiefen unseres inneren Kellers verbannen. (Nicht zufällig spielt Jensen in »Men & Chicken« auch mit dem Motiv der Leichen im Keller: Was wollen wir uns nicht anschauen?)

Was wir uns auf jeden Fall nicht anschauen wollen, ist unsere eigene Überheblichkeit und die Tatsache, dass wir ständig andere Menschen bewerten und in der Folge defizitär betrachten:

Jemand, der – total PC – sagt oder denkt: Wir dürfen Ausländer nicht ausgrenzen, tut es bereits durch diesen Gedanken.

Das wird sofort deutlich, wenn wir diesen Satz nur leicht verändern: Wir dürfen die Nobelpreisträger nicht ausgrenzen. Oder: Wir dürfen die Fußballspieler der deutschen Nationalmannschaft nicht ausgrenzen.

Bei jemandem, dem wir innerlich einen hohen Status zuschreiben, müssen wir uns gar nicht erst »zur Ordnung rufen«. Überall da, wo wir denken: »Achtung – diese Person darf ich nicht ausgrenzen!« haben wir bereits ein defizitäres Bild im Kopf.

Das wird auch nicht besser dadurch, dass wir mit ständig neuen Wörtern unsere defizitäre Sichtweise zu verbergen suchen: Ach ja, »Ausländer« darf man ja nicht sagen. Also: Menschen nicht-deutscher-Herkunft.

Es stimmt, dass wir uns um die Wörter, die wir benutzen, Gedanken machen müssen, weil sie unsere inneren Bilder prägen. Das Problem ist aber, dass wir, wenn wir nur die Wörter verändern– die inneren Haltungen dabei aber nicht hinterfragen – keinen Schritt weiter kommen.

Es bringt nichts »Mensch mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung« zu sagen, wenn wir dann trotzdem das Bild behindert im Kopf erzeugen und denken, dass wir nun helfen müssen… Ja, was können wir denn jetzt machen, damit dieser arme, behinderte Mensch ein bisschen mehr so werden kann, wie wir?

Wir fühlen uns moralisch überlegen und halten die Political Correctness ganz hoch: Niemand darf aufgrund seiner Defizite beleidigt oder ausgegrenzt werden! Aha, und genau in diesem Satz steckt schon das ganze Missverständnis:

Was nehmen wir denn als Defizite wahr und sind es welche? Aus welcher Perspektive beurteile ich, „wer unter Naturschutz gestellt werden muss“ und wem ich helfen muss, damit er oder sie meinen Vorstellungen eher entspricht? Und woher kommt es, dass ich dies aus einem Gefühl der Überlegenheit tue?

Jensen rüttelt mit seinen Bildern und seiner Komik an genau dieser verrammelten Kellertür unseres Bewusstseins. Wir geben uns nach außen weltoffen und ignorieren unseren inneren blinden Fleck: Wir wollen nicht zugeben, dass wir Vorbehalte oder gar Vorurteile haben, dass wir eigentlich alles bequem so behalten wollen, wie wir es uns in unserer mentalen Gartenzwerg-Sandburg eingerichtet haben. Weil wir noch gar nicht verstanden haben, dass es unendlich schwer ist, das wirklich (!) Andere auszuhalten und sich ernst gemeint damit auseinanderzusetzen.

Aufgabe von Inklusion
Die Aufgabe von Inklusion ist es nicht, jemand anderem dabei zu helfen, dass er oder sie sich so verhalten und so leben kann, wie ich es für richtig halte oder unser neoliberales System es als optimal beschreibt – sondern dass ich die Perspektive meines Gegenübers zu verstehen lerne und wie mein Gegenüber glücklich sein und leben will. Unterstützen und bereichern können wir uns dann gegenseitig.

Dafür müssten wir uns erstmal mit unseren persönlichen Schmerzgrenzen ernsthaft konfrontieren – zum Beispiel mit einem Happy End wie in »Men & Chicken«… Ansonsten bleibt Inklusion ein frommer Wunsch fürs Poesiealbum.

Inklusion und Menschenbild
Jensen sorgt dafür, dass sich sein Publikum schlapp lacht und ist sich dabei nicht zu schade, die großen moralische Fragen aufzumachen:

Die Frage nach unserem Menschenbild und nach unseren inneren Werten.
Nur folgerichtig, dass er da auch gleich die Religion mit verhandelt.

Man könnte sagen – wenn man es sich traut –, dass gelebte Inklusion ziemlich große Schnittmengen mit dem Konzept der Nächstenliebe aufweist. Doch ist Jensen alles andere als ein religiöser Prediger. So bringt er immer auch die verlogene Seite gelebter Relgion ins Spiel.

Im Namen des Glaubens wird gemordet, Krieg geführt, der unangepasste Nachbar ausgegrenzt, der »Schuldige« »bestraft«, das »ungezogene« Kind sanktioniert und der »Verrückte« »zu seinem eigenen Besten« ausgegrenzt. Dennoch weiß auch Jensen, dass es im Kern der Religion um die Herausforderung geht, »ein guter Mensch zu sein«. (Und es zeigt sich, dass für viele einzelne Menschen der religiöse Glaube tatsächlich einen inneren Impuls dazu geben kann, anderen in Notlagen zu helfen, statt nur an den eigenen Vorteil zu denken).

Dafür muss man allerdings nicht religiös sein. Man könnte sich einfach nur vor Augen führen, welcher innere Anschub bzw. Grundimpuls bei mir selbst notwendig ist, um mich zwischen Bewertung, Abgrenzung und Abwehr auf der einen Seite – oder Offenheit und Entgegenkommen auf der anderen Seite zu entscheiden:

Will ich mich abwenden und eine Grenze ziehen – oder halte ich die Irritation aus und öffne mich für die Perspektive des anderen – auch, wenn es sich zunächst mal unbequemer anfühlt?

Vielfalt als existierende Realität
Wähle ich die blaue oder die rote Pille? (Matrix)

Will ich ausblenden, was überall an unseren »Grenzen« passiert – sowohl an den wortwörtlichen Ländergrenzen, als auch an meinen inneren? Oder gebe ich mir einen Ruck und gehe in die Ungewissheit des Realen?

Das Reale ist für mich die existierende Vielfalt. Ob wir das gemütlich finden, oder nicht.

Die Frage ist: Wollen wir uns mit der Realität auseinandersetzen – oder weiter verdrängen?

Zwei Möglichkeiten auf die existierende Vielfalt zu reagieren: Vielfalt leugnen oder Vielfalt nutzen.
Vielfalt ist eine Tatsache unserer menschlichen Existenz.

Es gibt nur zwei Arten, darauf zu reagieren:
Entweder mit der Behauptung einer Norm und damit mit der Errichtung von Grenzen: Dies ist richtig und erstrebenswert und das ist falsch und muss noch angepasst werden, dies ist »drinnen« und das ist »draußen«.

Oder aber mit der Erkenntnis, dass sich die existierende Vielfalt einer objektiv »richtigen« Bewertung und damit einer Norm entzieht. Und dass ich den bereichernden Aspekt von Vielfalt nur erkennen kann, wenn ich meine inneren Bewertungsgrenzen und Ängste überwinde.

Sich von der Vorstellung einer allgemeingültigen Norm zu verabschieden löst Angst und innere Widerstände aus (das ist das Thema in Jensens Filmen) – aber auf den Schock der ehrlichen und wertfreien Begegnung folgt der Reichtum der Perspektiverweiterung. Und die Überraschung, dass wir mit dieser Perspektiverweiterung viel weiter kommen.

Je mehr Vielfalt, desto mehr Ideen und desto mehr verfügbare Lösungsmöglichkeiten für die Herausforderungen unserer Welt.Angst vor Vielfalt durch den Aberglauben an das Glücksversprechen des »neoliberalen Hamsterrads«
Viele mögen jetzt beispielsweise die Flüchtlingsproblematik im Kopf haben. Aber die Sache fängt schon weit davor und viel kleinteiliger an.

Nämlich, wie gesagt, bei unseren ständigen, heimlichen Bewertungen und der Angewohnheit, Menschen in »begabt« und »nicht ganz so begabt« usw. zu unterteilen. In »attraktiv«, »erfolgreich« und »nicht so attraktiv« und »nicht so erfolgreich«.

Damit, Kinder nach Noten zu bewerten und sie »unbedingt ans Gymnasium« zu zerren.

Das Gymnasium ist die Burg mit der Mauer drum. Die »Unbegabten«, »irgendwie Seltsamen«, »Verhaltensauffälligen« können ja woanders hingehen. Deswegen wächst die Hysterie der Beweisführung: Mein Kind ist nicht »unbegabt«, nicht »irgendwie seltsam«, nicht »verhaltensauffällig« – mein Kind macht alles richtig! Mein Kind muss noch rein in die Burg, bevor die Brücke hochgezogen wird.

Wie lange wollen wir noch so tun, als könnten alle gleich sein?
Wie lange geht das noch mit dieser Burg?
Wie lange wird das noch klappen, dass Angst oder Ignoranz unsere Impulsgeber sind?

Angst vor Ausschluss, Abstieg und Unvorhersehbarem und Ignoranz: Ich gehöre ja auch in die Burg, weil ich besser bin? (Glaubt das eigentlich wirklich irgendjemand?)

Anders Thomas Jensen behauptet eine schwarz-humorige Komödie zu machen – das ist die Verpackung. Was darunter liegt ist das gesamte Drama unserer Zeit:
Der Mensch, der sich Anerkennung innerhalb der Gemeinschaft wünscht, der aber »irgendwie nicht richtig« ist, nicht der gesetzten Norm entspricht, und der deswegen immer von der Angst vor dem Ausschluss bedroht ist bzw. das Leid der Ausgrenzung ununterbrochen kompensieren muss, wodurch seine Deformationen und deren Auswüchse immer größer werden.

Fatale Konsequenzen
Das Fatale ist: Wer sich den normierten Anforderungen unserer durchökonomisierten Gesellschaft unterwirft, kann nur entweder zum Arschloch oder zum Opfer werden:
Denn wenn ich diese Normen verinnerliche (= schön, nützlich, sportlich, schlank, belastbar, beliebt sein usw. usw., tolle Ehe, tolle Kinder, akademische Bildungsbiografie, beruflichen Erfolg haben usw. usw. …) bin ich im ständigen Stress, diese Normen zu erfüllen, um »drin« zu bleiben, um meinen Status zu sichern.

Je erfolgreicher (also angepasster) ich mich innerhalb dieser Normen verhalte, desto geringschätziger wird mein Blick auf diejenigen, denen das »nicht so gut gelingt« und desto weniger nehme ich überhaupt wahr, welche Alternativen es gäbe.

Um mich selber gut zu fühlen, brauche ich die defizitorientierte Sichtweise auf die anderen. Denn je mehr ich selbst andere ausgrenze, desto besser kann ich mich selbst fühlen. Das ist die Arschloch-Variante.

Oder aber ich bin verzweifelt, weil ich merke, dass ich es nicht schaffe, immer schön, nützlich, sportlich, schlank, belastbar, beliebt, beruflich erfolgreich, und insgesamt super toll zu sein. Bezogen auf die Norm kann ich zwangsläufig nur meine Defizite sehen – (obwohl ich mit einer anderen Perspektive wahrscheinlich ein sehr zufriedener und erfolgreicher Mensch sein könnte…). Das ist die Opfer-Variante.

Woran unsere durchökonomisierte Gesellschaft krankt
Leider glaubt derzeit eine Mehrheit, dass es besser ist, sich unentwegt bis zur Erschöpfung abzustrampeln, um schön, nützlich, sportlich, schlank, belastbar… zu sein. Weswegen diese Mehrheit einen geringschätzigen Blick auf die »Defizitären« entwickeln muss, um den ständigen Druck aushalten zu können. (Ich schaffs ja noch! Ich bin noch in der Burg!)

Weil die meisten aber dennoch »gute Menschen« sein wollen, und im Innersten ein schlechtes Gewissen kompensieren müssen, greifen sie dankbar zur Political Correctness: Niemand darf aufgrund seiner Defizite beleidigt oder ausgegrenzt werden! Deswegen bin ich jetzt äußerlich ganz nett zu dem Menschen nicht-deutscher-Herkunft, zu dem Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, dem ADHS-Kind, dem bildungsbenachteiligten Jugendlichen, der leider nicht aufs Gymnasium kann, usw. … (aber innerlich: Ach wie angenehm, dass es immer noch so viele gibt, die unbegabter, hässlicher, unsportlicher usw. sind als ich!!)

Diese Form der Political Correctness ist im Grunde nur die dünne Schicht aus süßem Zuckerguss, mit der wir nach außen »den guten Menschen« spielen können – dabei würden wir am liebsten kurz nach unten treten, weil es im normierten Hamsterrad vielleicht zu wenig gute Plätze gibt.

Die größte Kunst bei Anders Thomas Jensen liegt darin, dass er dieses tragische, bitterböse Thema mit unglaublicher Komik erzählt und vermeintlich bis ins völlig Abstruse übertreibt.

Wenn man sich unsere derzeitige Welt aber kurz mal von außen anguckt, was tagtäglich an Nachrichten aus der Welt rein kommt – und was wir in unserem direkten Alltag veranstalten, um »optimal« zu sein – dann sieht man, dass Anders Thomas Jensen nur immer krassere, bösere Bilder findet für eine immer krassere, bösere Realität.

Schaffen wir den Perspektivwechsel?
Ich frage mich, ob wir das noch schaffen: Unsere Perspektive noch rechtzeitig zu ändern.

Schaffen wir das noch zu sehen, dass keine einzige Burg sicher genug sein wird und dass kein einziges normiertes Bewertungssystem ausreichen wird, um Menschen dauerhaft daran zu hindern, in Würde leben zu wollen?

Inklusion braucht Mut und Demut
Was wir alle dringend brauchen ist mehr Mut und mehr Demut.

Mut, um uns auf die Perspektive von Menschen einzulassen, die uns auf den ersten Blick vollkommen fremd sind und die uns vielleicht sogar verstören. Mut, uns auf eine Begegnung mit ihnen einzulassen und auf eine vorschnelle Bewertung zu verzichten.

Und Demut, zuzulassen, dass ihre Perspektive mindestens so berechtigt und verständlich ist wie unsere eigene.

Inklusion als Möglichkeit für eine klügere und bessere Gesellschaft
Wir könnten unsere einfältige und ängstliche Sichtweise als das erkennen, was sie ist: Als eine von Millionen Perspektiven auf die Welt.

Und wir könnten sofort anfangen, unsere eindimensionale Wahrnehmung zu erweitern: Je vielfältiger wir sehen lernen, desto klüger und besser könnten wir werden.

Um zusammen einigermaßen glücklich zu werden, haben wir gar keine andere Wahl.

Das könnte der »Beginn einer wunderbaren Freundschaft« – und einer besseren Gesellschaft – sein. Wie im Happy End von »Men & Chicken«:

»Und es gab Platz für alle in einem großen, großen Haus. Für jede Kreatur, hübsch oder hässlich, dick oder dünn, gut oder böse, Kinder und Alte, Tiere und Menschen, und alles dazwischen … von wem auch immer, wo auch immer geschaffen. Obwohl viele der Alten auf der Insel sich noch immer vor den Brüdern fürchteten und vor den Dingen, von denen alle wussten, dass sie im Keller vor sich gingen, so respektierten sie doch, dass es nun manchmal einfach so sein sollte: Und zwar aus dem einfachen Grund, weil das Leben so spielt und eine Alternative niemals vorzuziehen wäre.«

(aus »Men & Chicken«, Anders Thomas Jensen, 2015, DCM Film Distribution GmbH Berlin)