Glückliches Scheitern! Content is dead!

Hacker-Biografien als sinnstiftendes Narrativ in einer Zeit großer Veränderungen

Veränderungen haben dem Menschen schon seit jeher Ängste bereitet. Derzeit befinden wir uns mitten in einem der größten gesellschaftlichen Veränderungsprozesse seit der Erfindung des Buchdrucks.

Die Digitalisierung verändert in raschem Tempo alle Bereiche unseres sozialen Lebens. Die Veränderungen zu beklagen und sich ihnen zu verweigern ist keine wirkliche Lösung, denn sie finden unabhängig davon trotzdem statt.

Die Technik wird mehr und mehr zur Verlängerung des Menschen – sie lässt sich vom »Menschsein« kaum mehr trennen. Die Entwicklungen beispielsweise im Silicon Valley legen nahe, dass wir mitten drin sind in einem Veränderungsprozess, der unseren Gehirnen noch wie Science Fiction erscheint, während große Teile davon bereits Realität sind bzw. in immer schnellerem Tempo Realität werden.

Die heranwachsende Generation zeigt uns schon jetzt jeden Tag, dass es nicht weiter hilft, den Menschen getrennt von der Technik zu verorten und mahnend den Zeigefinger zu heben. Der technologische Fortschritt findet statt.

Ob unsere Ängste berechtigt sein werden und diese Veränderungen uns zunehmend zu »ferngesteuerten«, identitätslosen Konsumenten und Usern in einer allmächtigen, seelenlosen Digitalindustrie degradieren, liegt allein in unserer eigenen Hand. Dazu müssen wir die Fragen noch einmal neu stellen.

Die Frage lautet nicht: Wollen wir den technologischen Fortschritt durch die Digitalisierung?

Sondern sie muss lauten: Können wir – alle – den technologischen Fortschritt in einem emanzipierten, selbstbestimmten und aufklärerischen Sinne mitgestalten? Nur dann kann der technologische Fortschritt auch zu einem sozialen und ethischen Fortschritt werden.

Dafür müssen wir uns den Veränderungen stellen und sie aktiv und wissend mitgestalten. Ängste, Verweigerung oder apokalyptische Vorhersagen sind in dieser Hinsicht wenig hilfreich.

Die fortschreitende Technologie muss weder zu Fremdbestimmung noch zu Entmündigung oder Kontrollverlust führen. Sie kann ganz im Gegenteil ein Mittel zur Freiheit sein, wenn jeder Mensch in die Lage versetzt wird, sie aufgeklärt und selbstbestimmt für ein erfülltes Leben zu nutzen. Es muss also um Ermächtigung gehen.

Die derzeit überall in der Welt entstehenden Open-Knowledge-Konzepte beruhen alle auf der Idee des Wissens-Zuganges für alle und dem ermächtigenden Prinzip:

Es geht darum, Wissen und Produktionsmittel zugänglich zu machen und alle Menschen in die Lage zu versetzen, mit diesem Wissen eigenständig und kreativ umzugehen.
Dies kann immer nur in folgenden zwei Stufen gelingen:

Erste Stufe: Access (Zugang zu Wissen und Produktionsmitteln).
Zweite Stufe: Empowerment

Das heißt: Wissen muss zugänglich gemacht, Strategien offengelegt, ein riesiges Feld an Versuchs-Möglichkeiten eröffnet werden, in dem es keine Beurteilungen gibt, sondern ausschließlich Ermutigung zu vielfältigen eigenen Lern- und Gestaltungswegen.

In diesem Sinne geht es gar nicht um eine Revolution durch Technologie. In Wahrheit geht es um die Revolution des Zugangs zu Wissen.

Nur, wenn uns dieser Zugang in der Breite gelingt, kann der technologische Fortschritt zum gesamtgesellschaftlichen Fortschritt werden.

Was können wir tun?

Wann immer Menschen sich im Angesicht großer Gefahren oder beunruhigender Veränderungen bedroht sahen, brauchten sie ein starkes Narrativ, das ihnen gedankliche Orientierung und eine überzeugende Perspektive geben konnte in Zeiten der Verunsicherung. Wir haben daher solche starken Narrative in der Religion, in der Mythologie, in alten archetypischen Erzählungen, Parabeln, Märchen, usw. (Siehe auch das Kinderbuch »Frederic«.)

Derzeit fehlt uns aber ein starkes Narrativ, das uns den Wandel durch die Digitalisierung als positive Möglichkeit erzählt. Denn nur, wenn wir den stattfindenden Veränderungen positiv begegnen, können wir uns ihnen gegenüber öffnen, sie verstehen, als Herausforderung annehmen und sie in der Folge selbstbestimmt und emanzipatorisch mitgestalten.

Für ein solches Narrativ, das den Weg hin zu ermächtigenden Denk- Lern- und Gestaltungsstrategien für jeden einzelnen Menschen erzählt, könnte uns als Ausgangspunkt eine Schlüsselfigur unserer Moderne dienen: Der Hacker.

Der Hacker stellt Machtsysteme in Frage und lotet die Grenzen des Machbaren aus. Der Hacker hinterfragt das Bestehende und entzieht sich den Regeln existierender Machtsysteme. Was der Hacker an Innovation und Freiheit hervorbringt, basiert auf einem grundsätzlich anderen Denken über Wissen, Lernen und Problemlösung.

Die gesamten Innovationen aus dem Silicon Valley basieren auf einem grundsätzlich anderen Denken, als es in weiten Teilen unserer Gesellschaft und auch in unseren Bildungs-Institutionen noch üblich ist.

Dies sind die Grundprinzipien des Hackens:

  • Verfügbarkeit von Wissen
  • Kultur der Teilhabe an Ideen (Sharing Culture versus Expertentum)
  • Lernen durch Experiment
  • Das Prinzip des Scheiterns ist implementiert und führt zur Analyse gemachter Schritte, bestenfalls zu neuen Lösungen
  • Deutungshoheit fällt weg zugunsten eines permanenten Qualitätsdiskurses (Teilen)

Auf diesem Wege werden die Sicherheitsschranken bestehender hermetischer Systeme, Elfenbeintürme, Hoheitsgebiete und Sicherheitszonen überwunden und somit jeglicher Fremdbestimmung und Entmündigung vorgebeugt.

Der Hacker geht immer vom Problem aus. Doch sieht er im Problem nichts anderes als eine spielerische Herausforderung, die über das Prinzip des Scheiterns und des Immer-Wieder-Neu-Versuchens überwunden und in einen Sieg verwandelt werden kann.

Diese Arbeitsweise fasst das Scheitern nicht negativ auf sondern immer als Chance, etwas Neues zu entdecken. Im Gegensatz zu unseren derzeit herrschenden Lern- und Gestaltungswegen, in denen Fehler oder Scheitern fast immer unangenehm konnotiert sind und möglichst vermieden werden, geht es hier um das glückliche Scheitern (englisch: serendipity) als Grundvoraussetzung für Innovation.

Wie kann ein starkes und positives Narrativ unserer Zeit entstehen?

Es ist schon immer die Kunst gewesen, die uns in Zeiten des Wandels erhellende Perspektiven auf die Gegenwart eröffnen kann, durch die wir zu neuen Narrativen finden.

Niemand kann das derzeit vielleicht besser, als die heranwachsende Generation der digital natives, wenn sie ermächtigt wird, ihre Perspektive auf den derzeitigen gesellschaftlichen Wandel mit eigener Stimme und mit künstlerischen Mitteln zu erzählen.

Ausgangspunkt der Suche nach einem solchen Narrativ könnte die Figur des Hackers als Heldenfigur unserer Zeit sein, im Sinne eines Kämpfers für das Prinzip der Selbstermächtigung durch offenens Wissen, durch Teilen und durch Kooperation, eines Kämpfers für lebenslanges, eigenständiges und experimentelles Lernen durch glückliches Scheitern (serendipity) – orientiert an dem übergeordneten Ziel der wirklich gelebten Demokratie und basierend auf der Utopie einer gerechten, freien Gesellschaft.

Auf der Suche nach dieser Erzählung könnten folgende Fragen weiter führen:

Wo finden wir derzeit bereits Handlungs-und Denkstrategien, die dem Hacken in diesem Sinne entsprechen?

Wo und in welchen Bereichen sind die »Hacker-Helden« unserer Zeit verborgen und was tun sie?

Wo werden im Alltag auf sozialer, künstlerischer und technischer Ebene »Hacker-Strategien« sichtbar?

Wo werden diese »Hacker-Strategien« in den Biografien einzelner Menschen wirksam?

Welche Abenteuer erleben diese Menschen, die »etwas hacken« und welche Probleme gilt es zu überwinden?

Wie können wir diese spektakulären Vorgänge und individuellen Geschichten, die sich bereits überall auf der Welt ereignen, sichtbar und verstehbar machen?

Was wird man 500 Jahre später über diese Zeit sagen, in der wir am Anfang eines neuen Zeitalters standen?

Was müssen wir tun, um die Zukunft im Sinne eines Ermöglichens oszillierender Vielfalt verschiedenster Potenziale mit zugestalten?

Jeder Mensch kann und sollte ein Hacker sein. Alles Bestehende kann und sollte spielerisch hinterfragt und gehackt werden – mit dem Ziel, die Welt gerechter, vielfältiger und schöner für alle zu machen.

ACT e.V. arbeitet grundsätzlich nach Konzepten, die auf den oben genannten »Hacker-Prinzipien« basieren. In einem weiteren Schritt wollen wir nun in unserer künstlerischen Arbeit Narrative entwickeln, die den Hacker als »Heldenfigur der Gegenwart« (in verschiedensten Bereichen!) mitsamt seinen Strategien sichtbar machen.

Maike Plath, 03.01.2016