Unterricht muss ein Fest sein II

Ergänzend zu meinem letzten Blogeintrag sollte ich vielleicht noch sagen, dass mir natürlich klar ist, warum das „Gastgeber-Konzept“ an unseren Schulen so schwer durchzuhalten ist. Das weiß ich genau, dass das in unseren Strukturen wahnsinnig schwierig ist. Dennoch ist es das einzige, was hilft!

Wer nämlich meint: Ja, ja, sie hat gut reden – das kann sie vielleicht im Heimathafen machen und bei ihren Theaterproben – aber im normalen Unterricht geht das ja gar nicht! – Den möchte ich daran erinnern, dass ich diese Gastgeber-Rolle ja gerade in meinen Jahren an der Hauptschule (später Sekundarschule) in Neukölln gelernt habe…

Gerade dort, wo einem so einiges um die Ohren fliegt und die Schüler_innen sich dem Unterricht auf vielfältigste Weise verweigern – genau DORT kommt man meiner Ansicht nach langfristig nur weiter mit der Haltung des Gastgebers. Alles andere kostet viel zu viel Kraft, bringt überhaupt nichts und frustriert alle (!) Beteiligten.

Gastgeber für meine Schüler zu sein, habe ich in der Schule gelernt – weil ich anders nicht weiter kam. Und dann war es über alle Maßen erstaunlich, zu sehen, dass diese Schüler_innen so viel leisten WOLLTEN.

Ich sage nicht, dass es leicht ist, die Gastgeber-Rolle durchzuhalten. Aber was ist schon leicht?

Ich sage nur, dass diese innere Haltung uns wieder zum Sinn des Lehrerberufs zurück führt. Und dass es bei weitem erfüllender ist, zu sehen, dass die eigene Anstrengung tatsächlich zu Erfolgen bei den Schülern führt – als jeden Abend nach Hause zu fahren und dieses lähmende Gefühl großer Vergeblichkeit kompensieren zu müssen.

Denn: Einem anderen Menschen etwas beizubringen, ist eigentlich eine der schönsten und erfüllendsten Tätigkeiten, die es gibt. Für beide. Für den, der das Glück einer neuen Erkenntnis erlebt und für den, der es ermöglicht hat.

In unseren Schulen sind wir leider von diesem beglückenden “Urmoment” von Bildung zeimlich weit abgekommen. Das, worum es eigentlich geht, ist im Bemühen um Vergleichbarkeit der Leistungen, um bessere Pisaergebnisse und hinter einem Berg an Bürokratie und theoretischen Leistungsanforderungen in den Hintergrund geraten.

Der Zauber tatsächlich gelingender und persönlichkeitswirksamer Bildung liegt in der Begegnung zwischen Lehrer und Schüler. Gelingt diese Begegnung, empfinden beide Seiten den Lehr- und Lernprozess als beglückend. An dieser Stelle wird der eigentliche Sinn des Lehrerberufs erfahrbar.

Würden wir unseren Fokus weniger auf immer neue Reformen, als viel mehr auf diese Kernkompetenz des Lehrers richten, wären Schulen glücklichere und sinnvollere Orte.

Beides hängt nämlich eng miteinander zusammen. Sobald wir erleben, dass unsere Arbeit Sinn macht, empfinden wir Freude. Und das ist die Grundvoraussetzung für jegliche Motivation, überhaupt irgendeine besondere Anstrengung zu unternehmen. Ohne Motivation bleiben wir stets im Feld der mittelmäßigen, mühseligen Pflichterfüllung mit dem inneren Wunsch, endlich erlöst zu werden.

Derzeit verrichten sowohl Lehrkräfte als auch Schüler_innen ihre Pflichten oft wie automatisierte und ferngesteuerte Programme.

Die Sinnfrage wird gar nicht mehr gestellt, bzw. mit zynischen Sprüchen kommentiert. Wie soll man sich im Angesicht der sich türmenden Anforderungen auch noch Idealismus leisten können?

Das ist aber ein Irrtum. Höchstleistungen entstehen nur dort, wo wir auch an einen höheren Sinn unseres Tuns glauben können. Ohne den Glauben an den Sinn der ganzen Unternehmung bleibt alles nur durchschnittliche Betriebsamkeit.

Schulen sind heute Orte, an denen zunehmend Entfremdung statt findet. Dagegen helfen zunächst einmal keine neuen Reformen. Denn Reformen gelingen nur, wenn sie von Menschen verinnerlicht und gelebt werden.

Es sind die Lehrer selbst, die die wichtigsten Impulsgeber für eine erfolgreiche Schulentwicklung sein können.

Dafür müsste man sie aber auf ganz anderen Feldern aus- und weiterbilden (Körpersprache, Statuslehre, Kommunikation, Theater!) und sie ermutigen, ihr eigenes, individuelles Handlungsspektrum zu erweitern, statt ihnen Pläne und Vorschriften an die Hand zu geben, in deren Grenzen sie zu bloßen Erfüllungsgehilfen gemacht werden.

Für eine gelingende Schule gibt es nicht EIN Rezept oder eine Reform. Es ist der Lehrer selbst, der flexibel und kreativ reagieren kann – wenn er darin ausgebildet ist, das EIGENE Potenzial zu erkennen und zu nutzen – denn genau das soll er ja dann auch bei den Schüler_innen schaffen: Deren individuelles Potenzial erkennen und einen Weg erfinden und begleiten, auf dem dieses Potenzial für das Kind selbst nutzbar wird.

Genau das ist es, was den Lehrerberuf zu einer erfüllenden Aufgabe macht. Und dafür ist die innere Haltung des Gastgebers die Grundlage.

Dazu ein Zitat aus einem sehr schönen und wichtigen Buch, das ich gerade gelsen habe: Dr. Christine Eichel, in „Deutschland, deine Lehrer“, Karl Blessing Verlag 2014, zur Lehrer-Schüler-Beziehung:

„Nach Sokrates bedeutete Pädagogik “nicht die Vermittlung eines Wissenskanons, sondern die Verflüssigung des Lernens als Reflexion, auch die Vorbereitung auf unvorhersehbare Fragestellungen der Lebenspraxis. (…) Indem Sokrates die Perspektive eines Schülers einnimmt, nicht jene des allwissenden Belehrenden, erschafft er eine Beziehung auf Augenhöhe. (…). Dabei ist sein pädagogisches Ethos getragen von emotionaler Zugewandtheit. Auf diese Weise vermittelt Sokrates den Kern aller Bildungsanstrengungen: die von Empathie und positiven Emotionen begleitete Ausbildung eines wachen Intellekts. (…) George Steiner hat solch fruchtbaren Meister-Schüler-Beziehungen ein bemerkenswertes Buch gewidmet, in dem er das wechselseitige Verhältnis heraushebt: ‚Der Meister lernt vom Schüler und wird durch diese Beziehung verwandelt in einem Prozess, der sich im Idealfall in einen Austausch verwandelt. Das Schenken geschieht wechselseitig, wie in den Labyrinthen der Liebe.‘ Dies ist mehr als reine Weitergabe von Wissen, vielmehr ein intensives Zusammenspiel zwischen Meister und Schüler, das gemeinsame Entdecken von Unbekanntem. (…) Nichtwissen heißt bei Sokrates lebenslanges Fragen, lebenslanges Lernen, jenseits unveränderlicher Gewissheiten. Genau das ist heute erforderlich in einem medialen Environment, in dem Informationen so verwirrend zahlreich zirkulieren und so schnell veralten wie nie zuvor.“

Wir brauchen glückliche, selbstbewusste Lehrer, die sich frei fühlen, auf ihr eigenes Potenzial zu vertrauen und dieses versiert und emanzipiert im Schulalltag entfalten können. Wir brauchen dafür selbständig denkende und selbständig handelnde, verantwortungsvolle Lehrer, die ihre Hauptaufgabe wieder im Ermöglichen und Begleiten von Lernprozessen sehen.

Die Lust haben – und die Zeit bekommen, ihren Schüler_innen wirklich zu begegnen und ihnen individuell auf ihren Lebensweg zu verhelfen.

Die Freude daran haben, für ihre Schüler_innen ein guter Gastgeber zu sein.