Schnecke im Weltuntergang

Ich fühl mich gerade wie eine Schnecke im Weltuntergang. 

Vor über 20 Jahren hatte ich diesen „inneren Urknall“: 

Den plötzlichen Schrecken der Erkenntnis, wie krass (und detailliert strukturell) UNMENSCHLICH unsere Welt gebaut ist. Und in welchem Maße ich selbst – als weiße, privilegierte Cis-Frau – davon profitierte. Dieser innere Urknall beinhaltete mehreres:

Zuerst die Scham. Dass ich diese ganzen Zusammenhänge erst so SPÄT – nämlich 2004 – im ganzen Ausmaß SEHEN konnte. Dann die Wut. Über die Märchen, mit denen ich aufgewachsen war. Dann der auflodernde Aktionismus: Jetzt aber mit WUMS ran an die Arbeit und MINDESTENS eine Revolution schaffen. Dann dieser Eifer. Ohne Pause die Welt retten jetzt. Wieder gut machen, was ich bis zu diesem Zeitpunkt an Vorteilen einfach so unreflektiert für selbstverständlich gehalten hatte. 

Dann die Stürze bei Höchstgeschwindigkeit über die zahlreichen – wie aus dem Nichts auftauchenden – menschlichen und strukturellen Fallstricke. Zack. In voller Fahrt gegen das Hindernis geprallt, mehrfach überschlagen und mit Beulen und blauen Flecken erstmal bisschen verdutzt im Graben liegen geblieben. Hä? Ok. Wieder aufrappeln. Weiter gehts.

Einschub: Bei all dem glücklicherweise nicht allein gewesen. Denn dass wir alleine GAR nix schaffen können, war mir sehr schnell klar. Immer so dankbar, dass es euch gibt – Anna und Stefanie und euch alle von ACT e.V. und Veto-Institut… Alle, die da sind und immer weiter dazu kommen… (Einschub Ende) 

Dann – mit der Zeit – irgendwann das Ausbalancieren der Verzweiflung. Weil. Wieso stehen überall die Sheriffs wieder auf??

Und zwar überall. Nicht nur da, wo ich sie früher noch zumindest äußerlich als Sheriffs erkennen und mich wappnen konnte – sondern inzwischen auch da, wo alle so lieb aussehen und angeblich in der gleichen Richtung unterwegs sind. (!!) – Hä? –

Überall Sheriff-Land! – Dieses: ICH WEISS, WAS FÜR ALLE RICHTIG IST. Überall dieses „Mit-dem-Finger-auf-die-anderen-Zeigen“. Die Selbstgerechten. Unerbittlichen. Moralisierenden. Strafenden. Die, die WISSEN, WIE ES IST. 

Im Ernst?

(Ich persönlich kriege immer Angst, wenn ich Menschen treffe, die angeblich wissen, wie irgendwas IST. Aber ok).

Ich sehe jetzt. Ich bin eine kleine Schnecke im Weltuntergang. Denn ich bleibe stur – und leider unendlich langsam-  auf meinem Weg in die seit 2004 eingeschlagene Richtung. Während sich um mich herum immer mehr Leute in rasender Geschwindigkeit in die andere Richtung auf den Weg machen: Ins Sheriff-Land. 

Wo alles wieder „great again“ wird und ENDLICH wieder klar ist, was richtig ist und was falsch. Und vor allem auch, wer die Bösen sind und wer die Guten. Und wer FEHLER macht und weg muss!! Und nicht GENUG macht – und deswegen auch weg muss! – Wirklich super, dieses Sheriff-Land. Toiletten abschließen, Klassenkonferenzen und abschulen. Abschieben, abschulen, abschließen, abschießen, … Alles Sheriff-Denke. Alles great again.  

Ich bin dort gewesen. Und hab mich dort lange gefragt: Warum SAGE ich nichts? Warum ist mir mulmig? Und als ich es endlich gerafft hatte, dachte ich: Ich muss jetzt was SAGEN und alles aufschreiben, Bücher schreiben, ein Konzept erfinden und dann ununterbrochen daran arbeiten und mich einsetzen – und dann wirds schon noch, dann überwinden wir den inneren und äußeren Sheriff-Scheiß.  

Aber lustig: Klar. Is natürlich bisschen Hybris. Was dachte ich? JETZT denke ich auf jeden Fall: Merkste selber, Maike, ne?:

Ich komme nur so langsam voran wie eine Schnecke. Und die Sheriffs sind so schnell. Und inzwischen überall. Nicht nur da, wo wir sie vermuten. Sie tragen „Verkleidung“, (z. B. Erdmännchen-Camouflage), und viele sind von außen nicht als Sheriffs zu erkennen. 

Egal. Ich ziehe stur und unendlich langsam weiter in die andere Richtung. Und VERSTEHE einfach nicht, warum alle miteinander so unerbittlich geworden sind. Und ihren inneren und äußeren Sheriffs auf den Leim gehen. Vielleicht fehlt es an inneren Urknällen? Damit die Sicht frei wird auf das: 

Im Sheriff-Land verlieren wir ALLE. Außer den Sheriffs. 

Und für DIE ist es geil, wenn das störende, komplexe und widersprüchliche Menschliche endlich keine Rolle mehr spielt. 

Ich versuche, meine Panik und meinen Schrecken darüber in Energie umzuwandeln, um mich auf die nächsten Millimeter  „meines“ Schnecken-Weges zu konzentrieren. Wenn ich zurück schaue, bin ich schon ganz schön weit gekommen. 

Und ich freue mich unendlich über alle, die still und stetig mit mir weitere Millimeter in diese Richtung machen.

Ich glaube, trotz allem: Diese Reise macht viel Sinn und: Es passiert viel Schönes unterwegs, was Mut macht…

Trotz Schnecken-Tempo im Weltuntergang.  

Wenn du auch Lust hast, mitzukommen, schau dir gerne an, wie oder wo du gerne dazu stoßen kannst und möchtest: www.vetoinstitut.de