
Im Moment kann ich nur sagen, dass ich mit allen Lehrer:innen an Schulen mitfühle, die jetzt versuchen, scheinbar unüberbrückbare Positionen und eskalierende Emotionen bei ihren Schüler:innen zu vermitteln. Ein Alptraum.
So schlimm, wie es derzeit ist, habe ich es nicht in der Schule erleben müssen. Trotzdem war ich mit genau diesem Problem jahrelang konfrontiert und habe deswegen 2017 in meinem Buch „Befreit euch! Eine kleine Anleitung zur Bildungsrevolution“ auf den Seiten 39-41 auch auf dieses spezielle Thema Bezug genommen (zitierter Abschnitt, siehe unten).

Auf der Basis dieser und all meiner Erfahrungen mit verfahrenen und eskalierenden Gesprächs-Situationen und beängstigend radikal und hasserfüllt geäußerten Meinungen habe ich das Konzept des „Veto-Prinzips“ entwickelt und weiß, dass es langfristig hilfreich ist.
Es liegt mir fern, mich aufzudrängen. Für mich ist das hier reine Selbstberuhigung. Denn es ist für mich gerade sehr schwer auszuhalten, all den Schmerz, die Ohnmacht und Verzweiflung der Beteiligten mitzukriegen und zu erleben, wie die meisten schon WIEDER so reagieren, wie es schon DAMALS 2004 in Neukölln KOMPLETT gescheitert und an die Wand gefahren ist – nämlich durch autoritär geprägte Reflexe wie Sprechverbote, Sanktionen, Drohungen und moralisierendes Verhalten.
So verständlich diese Reaktionen sind (- ich habe damals selbst in der Not darauf zurück gegriffen!) – sie BRINGEN NICHTS!!! Sie machen alles nur immer SCHLIMMER! (Beschrieben in: „Türwächter:innen der Freiheit“, 2019)

KEIN Mensch auf der ganzen Welt wird seine Meinung ändern, wenn er/sie/es diese nicht äußern DARF. Sprechverbote bewirken niemals Einsicht sondern das Gegenteil: Verhärtung und Radikalisierung.
Wer starke Gefühle wie Trauer, Wut und Angst unterdrücken muss, kanalisiert diese in TRENNENDEN Bewältigungshandlungen, die langfristig zu Aggressionen und passiver und aktiver Gewalt führen.

Das heißt: Das allerste, was zu tun ist, ist:
Die GEFÜHLE und BEDÜRFNISSE anerkennen und ihnen Raum geben, die UNTER den Ansichten und Meinungen liegen!
(Konkrete Wege, wie das geht, beschreibe ich in „Das Veto-Prinzip®. Die sieben Säulen gleichwürdiger Führung“, Beltz 2023 und in „Befreit euch! Anleitung zur kleinen Bildungsrevolution“, 2017).
(und kostenfreier Video-Kurs zum Veto-Prinzip hier: www.vetoinstitut.de)
Westliche Demokratien haben schon lange ein Legitimationsproblem und verlieren an Glaubwürdigkeit, weil im Kleinen (an Schulen) und im Großen (in der Politik) immer dann die einer Demokratie zugrunde liegenden Werte kassiert werden, wenn ECHTE Krisen und Konflikte auftauchen.

Wenn wir auf ECHTE Krisen immer wieder autoritär reagieren und versuchen, „unmögliche“, bzw gefährliche, weil antidemokratische Meinungen zu unterdrücken, machen wir uns nicht nur unglaubwürdig sondern befördern genau das, was wir eigentlich verhindern wollen.
Eine Führungsperson, die die Werte, die sie verbal vertritt, im Krisenfall nicht selbst vorLEBT, ist keine natürliche Autorität und unglaubwürdig. Je mehr sie behauptet, „im Namen der Demokratie zu handeln“, sich aber gleichzeitig mit autoritären Gesten durchzusetzen versucht, desto geringer wird ihre Glaubwürdigkeit.
Je geringer die Glaubwürdigkeit, desto brüchiger wird die Wirksamkeit demokratischer Werte. Der Einfluss schwindet. Das gilt im Kleinen wie im Großen.

Im Kleinen habe ich diese ausweglose Dynamik als Lehrerin erlebt: Irgendwann steigen den zunehmend autoritär agierenden Lehrpersonen alle (Schüler:innen) aufs Dach und werfen Möbel aus dem Fenster. Gewalt und Hass nehmen zu. Das habe ich selbst erlebt. Und das lässt sich übertragen. Pars pro toto.
Autoritär geprägtes Verhalten erzeugt immer wieder neue Demütigungen, die dann immer wieder Gewalt und wiederum autoritär geprägtes Verhalten und wiederum neue Gewalt nach sich ziehen. Das ist ein Teufelskreis.

Wenn wir irgendwie noch an demokratische Werte und die Möglichkeit eines friedvollen Miteinanders glauben, müssen wir aus diesem Teufelskreis glaubwürdig aussteigen – und es ANDERS machen und mit langem Atem das ANDERE, GLEICHWÜRDIGE erfolgreich vorleben.
Ansonsten lacht sich bald die ganze Welt kaputt über `demokratische Werte`. (Wenn sie es nicht jetzt schon tut…)
Weil: Was soll das sein? Wenn es nicht funktioniert, sobald es im Krisenfall mal WIRKLICH drauf ankommt?

Wenn wir etwas ANDERES bewirken wollen als autoritäre, auf Trennung, Konkurrenz und Gewalt basierende Systeme, müssen wir KONSEQUENT den Gegenentwurf vorleben und damit erfolgreich sein. Der Gegenentwurf ist GLEICHWÜRDIGE, STARKE Führung. (Was übrigens nicht mit „anti-autoritärer“ Führung zu verwechseln ist!!).
Wie das WIRKLICH gelingen kann, beschreibt Schritt für Schritt das Veto-Prinzip®.
Ihr könnt kostenfrei (!) ein Video-Tutorial zur Einführung ins Veto-Prinzip HIER bestellen: www.vetoinstitut.de
Oder dieses Buch lesen und euch auf den Weg machen: Das Veto-Prinzip® – Die sieben Säulen gleichwürdiger Pädagogik, BELTZ 2023

Ich empfehle das als Erste-Hilfe-Programm, weil ich aus 20 Jahren Erfahrung weiß, dass es wirklich HILFT. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie unsere ausgebildeten Veto-Trainer:innen auf der Seite www.act-berlin und bald auch auf www.vetoinstitut.de.
Und hier gehts jetzt zum oben angekündigten Abschnitt aus „Befreit euch!“ von 2017, Seiten 39-41:
„…. 1.8.2.2 Umgang mit intoleranten Ansichten und Positionen
Ich habe oben bewusst das Beispiel einer Gruppenreise von Erwachsenen aus MEINEM Umkreis gewählt, um die Problematik in UNSERER Lebenswelt spürbar zu machen, und dadurch für die Brisanz der oft unbewussten „moralischen Überheblichkeit“ zu sensibilisieren, die auch im (gut gemeinten) pädagogischen Bereich anzutreffen ist und dort dieselben fatalen Folgen hat, wie im Beispiel der korrekten, weißen „Biodeutschen“ auf beschriebener Gruppenreise.
Genau wie im obigen Beispiel sind wir uns oft der Problematik nicht bewusst, weil wir es (wirklich) gut meinen. Das reicht aber nicht. Es ist tatsächlich horizonterweiternd, unsere eigene Perspektive zu VERLASSEN und von ANDEREN Standpunkten auf unser Verhalten zu schauen und besonders darauf, was unser Verhalten bewirkt – auch WENN wir es gut meinen.
Kinder und Jugendliche zu einem konstruktiven und offenen Umgang mit Diversität zu erziehen ist – wie wir alle wissen – keine leichte Aufgabe, wenn unterschiedlichste Lebensmodelle und Ansichten plötzlich im Klassenraum aufeinandertreffen. Allen Menschen in pädagogischen Berufen ist klar, dass es darum gehen muss – aber was diesem Ziel komplett zuwiderläuft, ist die – oft unbewusste – Bewertung (oft Abwertung) von Meinungen und Ansichten der Jugendlichen seitens der Lehrkraft. Machen wir nicht? Ich würde behaupten: Doch. Machen wir ständig.
Ein Beispiel:
Ayse erklärt lautstark, dass sie Juden hasse und „man alle Juden an die Wand stellen und erschießen müsse“. (Alle Lehrkräfte, die mit arabisch-stämmigen Jugendlichen zu tun haben, wissen ganz genau, dass sowas vorkommt).
Was machen wir dann? Was machen wir, wenn Jugendliche sich offen schwulen-feindlich oder rassistisch verhalten? Oder wenn sie antisemitische Positionen äußern?
Wie steht es dann mit der Erziehung zur Vielfalt? Wie können wir dann unseren Anspruch einer demokratischen Lernkultur aufrechterhalten?
Es ist meiner Ansicht nach ähnlich wie bei der geschilderten Gruppenreise: Die Gastgeberin (die Lehrkraft) muss erstmal „die Flasche Cola und den Aschenbecher hinstellen“. Und das bedeutet in der Schulrealität: Ich muss mich zunächst einmal ANDEREN Haltungen gegenüber ÖFFNEN, so schräg oder unkorrekt sie uns auf den ersten Blick auch erscheinen mögen.
Dies gilt für den pädagogischen Umgang mit JUGENDLICHEN. Antisemitische, rassistische oder andere menschenverachtende Positionen müssen in anderen Kontexten – und vor allem anderen erwachsenen Menschen gegenüber – natürlich klar als solche benannt und verurteilt werden. Sehr häufig ist dort eine „demokratisch gesinnte Kommunikation auf Augenhöhe“, wie wir sie Jugendlichen noch erfolgreich vermitteln können, nicht möglich, weil sich gerade solche genannten menschenverachtenden Positionen jeglichem demokratischen Boden entziehen bzw. das Ziel haben, diesen Boden zu zerstören. Es gilt also, hier deutlich zu unterscheiden zwischen einer pädagogischen Verantwortung und einer klaren Abgrenzung gegen menschenfeindliche, rassistische Haltungen und Handlungen.
Das bedeutet für den pädagogischen Kontext: Zuhören, nicht bewerten, nicht MEINE Sicht der Dinge über die der anderen (in diesem Fall der Jugendlichen) stellen – so falsch und intolerant mir einiges auch vorkommen mag. Eine Meinung kann ich nicht verändern, indem ich sie unterdrücke. Eine Reflexion und eventuelle Perspektiverweiterung bis hin zu differenzierteren Haltungen kann ich nicht verordnen oder durch Zensur in Gang bringen. Wenn ich einen Reflexionsprozess initiieren will, muss ich da ansetzen, wo das Kind sich gerade befindet – auch, wenn es sich dort vielleicht unangenehm anfühlt. Niemand wird seine Ansicht verändern, wenn sie einfach nur als „falsch“, „dumm“ oder „unmöglich“ abgestempelt wird. Auch freundliches, manipulatives „Dagegen-Argumentieren“ oder (noch schlimmer) „Dagegen-Pädagogisieren“ entlarven Jugendliche sofort als dogmatische Belehrung. Sie wissen, dass sie hier nicht ernst genommen werden, und natürlich haben sie recht.
Wenn Jugendliche spüren, was die Lehrerin für „richtig“ hält und dabei freundlich belehrend auftritt, entsteht Trotz und oftmals feindselige Blockaden. Die einen versuchen, „brav“ das abzubilden, was die Lehrerin erwartet und verbergen ihre eigenen Gedanken, während die anderen stumm oder auch lautstark blockieren – im Stillen aber erst recht daran festhalten und sich sogar darin bestätigt fühlen („Das soll also unsere freien, demokratischen Werte abbilden? MEINE Meinung darf ich hier aber offenbar nicht äußern…“ so oder ähnlich verlaufen ihre Gedanken).
Und auch hier ist zwischen dieser „Argumentation“ bei JUGENDLICHEN und bei ERWACHSENEN zu unterscheiden! Erwachsene sind sich häufig bewusst, dass ihr „Einfordern demokratischer Werte“ an dieser Stelle nur eine Strategie ist, um genau diese auszuhebeln. Jugendliche dagegen wollen oft nur ihre Grenzen testen und sind im Innern aber fast immer beweglich und durchaus in der Lage, ihre Ansichten zu ändern.
So schwer es manchmal auch fallen mag, aber ich denke, demokratische Führung vorzuleben heißt auch: Das Gegenüber ernst zu nehmen. Nur dann habe ich überhaupt eine Chance, einen ernsthaften Reflexionsprozess in Gang zu setzen. Aus einem Gefühl von Trotz oder Wut darüber, nicht ernst genommen zu werden, hat noch keiner seine Meinung verändert.
Statt empört zu reagieren (und damit letztendlich zu moralisieren), ist es hilfreicher, ruhig und offen zu bleiben und nachzufragen: Warum denkst du das? (Das funktioniert natürlich nur, wenn ich es ehrlich meine, d.h., wenn ich WIRKLICH ein Interesse daran habe, zu erfahren, was hinter einer solchen Äußerung steckt). Dann erfahre ich Erstaunliches, oft Nachvollziehbares.
Im Beispiel von Ayse hörte ich eine Geschichte vom Krieg im Libanon und einer Oma, die am Fenster stand und im nächsten Augenblick von einer Granate zerfetzt wurde, ich hörte von einem schön geschmückten Raum in einem palästinensischen Flüchtlingscamp, in dem die Alten den Jungen regelmäßig und ausführlich Geschichten von IHREM (arabischen) Palästina erzählten – Geschichten von „brutalen, kalten Israelis“, die „keine Menschen seien“.
Ich hörte von ununterbrochen laufenden Fernsehern in kleinen Wohnungen und von Berichten und Dokumentationen im Netz, in denen Haarsträubendes behauptet und zusammengeschnitten wurde und aus denen diese Jugendlichen ihr Weltbild zusammensetzten.
Da hilft es nicht, zu sagen: Das stimmt ja nicht, das ist alles Quatsch. Oder: Das darfst du nicht sagen.
Was hilft, ist Zuhören und immer wieder Fragen zu stellen, dafür zu sensibilisieren, was Fakten und was Meinungen sein könnten und zwischen beidem deutlich zu unterscheiden.
Was hilft ist auch, Verständnis und Betroffenheit zu zeigen, empathisch zu sein und nicht zu werten.
Was hilft ist, grundsätzlich klar zu machen, dass das eine der Mensch ist und das andere seine Meinung und dass beides immer getrennt voneinander bleibt. Der Mensch wird nicht wegen einer Meinung verurteilt. Trotzdem kann und muss man manchmal anderer Meinung sein. Es ist natürlich wichtig, dass wir deutlich machen, dass wir in besagten Beispielen eine ANDERE Meinung haben und diese vor allem auch mit Fakten (!) begründen – sie aber nicht per se (moralisch) ÜBER die Meinung unseres Gegenübers stellen.
Und was am besten hilft: Eine diverse Gruppe zu haben, in der alle VERSCHIEDEN sind und gelernt haben, dass das auch so bleiben kann und soll. DENN DIE WICHTIGSTE GELINGENS-KOORDINATE IST DIE DIVERSITÄT DER GRUPPE SELBST: Wenn ich direkt erlebe und höre, dass es 23 sehr verschiedene und auch nachvollziehbare Meinungen zu ein und demselben Thema gibt, komme ich selbst auf die Idee, dass meine eigene Meinung unter Umständen modifizierbar ist.
Ich habe immer wieder erlebt, dass eine diverse Gruppe zunehmend reflektierter, toleranter und offener wird, wenn jede*r seine „eigene Meinung behalten darf“ und den Raum erhält, diese zu vertreten. Schon das allein erscheint mir bereits „die halbe Miete“ zu sein. Sehr häufig verschwindet dann die Wut, die darunterliegt und eine eventuell intolerante Haltung genährt hat. Dann entsteht erst der Raum, andere Haltungen überhaupt aufzunehmen, diese zu verarbeiten und die eigene Haltung zu hinterfragen.
Diese Bereitschaft, die eigene Position zu verlassen und andere Perspektiven ebenfalls für denkbar und möglich zu halten, ist überhaupt erst der Beginn einer ernsthaften Auseinandersetzung damit, was demokratisches Handeln und in der Folge echte Partizipation bedeuten können.
Wenn wir selbst das nicht sehr überzeugt (und überzeugend!) vorleben, ist der gesamte Ansatz einer demokratischen, inklusiven Lernkultur von vorneherein gescheitert. „ (Aus: „Befreit euch! Anleitung zur kleinen Bildungsrevolution“, Maike Plath, 2017)