Ungehaltene Rede einer ungehaltenen Frau

Seit Montag nach der Europa-Wahl merke ich, dass ich wütend werde.

Und weil das bei mir was Neues ist, geh ich dem jetzt mal nach.

Warum bin ich wütend?

Kurzer Rückblick:

Vor 20 Jahren hab ich in einer Aula sehr schmerzlich – weil auf emotionaler und nicht mehr nur auf kognitiver Ebene – festgestellt, WIE krass ungerecht die Welt ist. Und dass ich als weiße, privilegierte Person unbewusst dazu beitrage, dass es so ist, wie es ist. Seit diesem Schock versuche ich, meine unverdienten Vorteile in dieser Welt unermüdlich dafür zu nutzen, dass sich etwas ÄNDERT. Dass die Welt besser – und vor allem menschlicher wird. Seit mein Gehirn darauf fokussiert ist, raus zu finden, was in Bezug auf dieses Ziel nützlich ist, habe ich viele Phasen durchlaufen.

Ich habe erfahren, dass Reden alleine nicht weiter hilft. Dass es ums MACHEN geht. Dass es nicht alleine geht – sondern nur im Zusammenschluss mit anderen. Dass wir lernen müssen, uns zu VERSTEHEN und uns auszuhalten und zuzuMUTen und nicht weg rennen sollten, wenn es schwierig wird. (DANKE Stefanie und Anna! Und DANKE euch allen, die sich mit unserer Idee verbinden und sie mit – und in die Welt – tragen und uns darin unterstützen, diesen Weg weiter zu gehen, so schwer er auch manchmal ist!).

Ich habe erfahren, dass es bis zu diesem Punkt tausende kleine und größere gemeinsame Entscheidungen brauchte und es dabei hilfreich war, diese immer wieder – mit dem Blick aufs Ganze – auf die Nützlichkeit in Bezug auf dieses Ziel kritisch zu untersuchen und zu hinterfragen. Und die Nützlichkeit in Bezug auf das Ziel zum Maßstab zu machen – und nicht die Angst vor der Reaktion außen stehender Beobachter:innen. Wer nur von den Zuschauerbänken aus urteilt, versteht nichts von der Situation INNERHALB der Arena.

Inzwischen wissen wir, dass das Veto-Prinzip als Konzept funktioniert, dass es wirklich Veränderungen IN den Menschen und dann auch in den Strukturen bewirkt und dass auch die Art und Weise, WIE wir versuchen, es in die Welt zu bringen, immerhin schneller funktioniert, als alle anderen Optionen, die wir über die Jahre ausprobiert haben.

Denn auf allen Ebenen begegnen wir Hindernissen und verschiedensten Formen von Widerstand. Institutionell, strukturell, finanziell und menschlich. Anhand all dieser Erfahrungen haben wir unfassbar viel darüber gelernt, wie unsere Gesellschaft (nicht) funktioniert. Nicht gleichwürdig ist. Und woran das liegt. Welche institutionellen, strukturellen, finanziellen und menschlichen Abgründe es gibt und wie wir immer wieder notdürftige Leitern und Brücken über diese Abgründe basteln mussten.

Und warum ich nun wütend – auf mich selber – bin:

Obwohl ich jetzt in 20 Jahren all diese Erfahrungen gesammelt habe, versuche ich noch immer, mich zu „benehmen“, nicht „zu doll“ zu sein, mir interessiert alle möglichen RatSCHLÄGE und Meinungen anzuhören, die einigen, von sich selbst überzeugten Leuten von den Zuschauer-Rängen so random-mäßig einfallen und die sie für wertvolle TIPP’s halten. Ich stehe dann so da und lächle (unglücklich). Sage „Danke“ und „Bitte“.

Warum MACHE ich das? Warum hat es so lange gedauert, sich die Wut zu ERLAUBEN?

Seit 20 Jahren sage ich „Die Welt ist im Umbruch, ich glaub, wir sollten ein paar Sachen anders machen“ und dann kommt: „Sei doch nicht so pathetisch. Es ist nicht immer gleich die ganze Welt im Umbruch. Denk doch mal ein bisschen kleiner und nimm dich nicht so wichtig!“

Okeee. (Beschämtes Zu-Boden-Blicken).

Seit 15 Jahren sage ich „Wir haben ein Problem. Und ich hab eine Idee, wie wir es angehen könnten“ und dann kommt: „Sei doch nicht so negativ. Du musst jetzt nicht ein Problem herstellen, nur damit du deine Idee unterbringen kannst. Es gibt ganz viele ganz tolle Ideen. Und es ist auch gar nicht alles schlecht. Es gibt so viele tolle Schulen (Institutionen, Projekte, Menschen, dies das Ananas…)“.

Okeee. (Beschämtes Zu-Boden-Blicken).

Und sorry: Als ob ich das nicht WÜSSTE! Ich bin die Person, die die LIEBLINGSMOMENTE SIEHT und sammelt.

Aber: Seit 30 Jahren (!) besuche ich Bildungskongresse und Tagungen und Bar-Camps und World-Café`s und schreibe alles mit und hör mir alles an – und ganz ehrlich? – Ja, es gibt tausend Ideen – und die meisten gibt es schon seit weit über hundert Jahren – und wir können noch vierhundert-tausend weitere Barcamps veranstalten und da immer wieder Ideen präsentieren und diskutieren und uns für ein, zwei Tage toll fühlen deswegen, weil wir ein bisschen Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommen haben und weil wir was GEMACHT haben.

Aber: Die zweitstärkste Partei in Deutschland ist jetzt die AFD.

Und im November sind US-Wahlen. Und Putin… – Ok. Ich lasse das jetzt.

Läuft bei uns in Deutschland! Läuft alles super geil. Super Schulen. Super Institutionen. Super Ideen. Super geil. (Super Kreide übrigens auch!)

Und jetzt werde ich ENDLICH RICHTIG wütend.

Und deswegen will ich jetzt mal ganz deutlich sagen: Das Veto-Prinzip ist nicht einfach nur eine weitere Idee von den vierhunderttausend. Es ist ein Konzept, das diesen vierhundert-tausend (und NOCH viel mehr) Ideen einen werte-basierten Raum und eine RICHTUNG gibt!

Das Veto-Prinzip zeigt einen klaren Weg auf, wie alle Menschen, die das Ziel einer gleichwürdigen, demokratischen und menschlichen Gesellschaft verfolgen, ZUSAMMENwirken können – und zwar von ihren unterschiedlichsten Perspektiven, Hintergründen und Lebensgeschichten aus.

Das Veto-Prinzip ist ein Koordinatensystem bzw. eine FORMEL, die von allen angewendet und auf deren Grundlage von ALLEN ein GEMEINSAMES Haus gebaut werden kann. ALLE Ideen haben darin Platz.

Denn das Veto-Prinzip ist eine konkrete Wegbeschreibung, wie wir alle wieder in Kontakt zu uns selbst kommen können – und zu dem was wir jeweils gerne WOLLEN und BRAUCHEN und KÖNNEN und wie wir von DORT aus in Kontakt und echte Kooperation mit anderen kommen können.

Mit dem Veto-Prinzip im Gepäck können Menschen Schulen, Theater, Krankenhäuser, Versicherungen, Banken, Unternehmen, Institutionen, Organisationen, usw VERWANDELN – auf der Basis ihrer jeweiligen, eigenen Ideen.

Das Veto-Prinzip transformiert Menschen und Räume in Richtung Gleichwürdigekit und Kooperation – und dort haben dann ALLE Ideen Platz.

Bisher aber fliegen all diese Ideen random durch die Gegend. Sie haben keine Basis, keine gemeinsame Richtung, kein gemeinsames Ziel. Keine gemeinsame Vision. Sie stehen in Konkurrenz zueinander, genauso wie die Menschen, die diese Ideen vertreten, statt dass sie sich gegenseitig ergänzen und gemeinsam Sinn ergeben.

Seit 15 Jahren sage ich: ‘Das Veto-Prinzip ist etwas Neues. Von wo aus wir ANDERS weiter denken können’. Und dann kommt: Ach, das ist doch nix Neues, das kenne ich schon… dies das Ananas…

Aber jetzt lächel`ich nicht mehr. Und ich gucke auch nicht mehr beschämt zu Boden.

Jetzt sage ich: DOCH. Das Veto-Prinzip IST etwas Neues. Denn es ist nicht nur einfach eine weitere Idee. Es ist ein konzeptioneller Boden, auf dem alle, die Gleichwürdigkeit, Menschlichkeit und Demokratie wollen – ihre Ideen einbringen und ZUSAMMEN an einem GEMEINSAMEN Haus bauen können. Einem Haus (einer Gesellschaft), die nicht EINE Idee für alle repräsentiert, sondern alle Lebensentwürfe und Ideen zu etwas NEUEM, GANZEN zusammenwachsen lässt. In all ihrer Verschiedenheit und Schönheit. Zu einer Demokratie 5.0.

Und das ist nicht nur eine Vision. Ich sehe das alles schon. Das ist möglich. Kein Mensch muss alle Antworten haben. Kein Mensch muss alles wissen müssen. Was wir brauchen, ist ein Koordinatensystem und das Handwerkszeug, wie wir wieder in echte Kooperation miteinander kommen können – und auf dieser Basis eine neue Welt erschaffen KÖNNEN.

Und dieses Koordinatensystem und das Handwerkszeug, das gibt es – glücklicherweise – schon. Und es funktioniert.

Und es fängt bei DIR an. Und mit MIR als Person hat es – übrigens – nur sehr bedingt was zu tun. Es geht nicht um Eitelkeiten, sondern darum, aufs gemeinsame Ziel hin NÜTZLICH zu sein. Und das Veto-Prinzip ist NÜTZLICH. Es ist eine Formel. Und Handwerkszeug. Es liegt da. Es darf verwendet werden. Ich mache derzeit nur die Starthilfe. So gut ich kann. So lange ich kann.

Und wenn jetzt kommt: „Mein Gott, ist sie pathetisch und was nimmt sie sich hier wieder wichtig“, dann muss ich ab jetzt nicht mehr wütend werden. Denn ich mach jetzt nicht mehr dieses beschämte „Okeee-Dings“, sondern sage mir einfach – ganz nach Veto-Prinzip:

Denkt und macht doch, was ihr wollt! (Na HOFFENTLICH!!)

#vetoprinzip #demokratie #doch