Mal ein bisschen Hintergrund-Info…
Selbstwertgefühl als wichtigste Ressource
Die Ausbildung von echtem Selbstwertgefühl ist die Basis für mentale und psychische Stärke – eine immer wichtiger werdende Ressource, um komplexe Situationen, mit denen wir es zunehmend zu tun haben, aushalten zu können und damit DIE Grundvoraussetzung für die Fähigkeit sich selbst und andere zu führen.
Die Vorraussetzungen und Möglichkeiten, um Selbstwertgefühl aufzubauen, sind aber unfair verteilt
Es besteht ein Zusammenhang zwischen unseren Lebensbedingungen und Bildungschancen in einem wettbewerbsorientierten System und der Möglichkeit, mentale und psychische Stärke ausbilden zu können. Wer zu lange Anpassung als Voraussetzung für Anerkennung erlebt, verlernt den Zugang zur eigenen Persönlichkeit und eigenen Fähigkeiten und kann irgendwann auch durch die best-gemeinten herkömmlichen Hilfs- und Bildungsangebote nicht mehr selbstbestimmt denken, handeln und fühlen.
Unsere gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen belohnen Anpassung und damit die Ausbildung eines „Fake-Selbstwerts“, der höchst fragil ist und sofort in sich zusammenfällt, wenn äußere Bestätigung ausbleibt
Auf Anpassung und Gehorsam setzende Führungskonzepte, wie sie in Schulen, Hochschulen und Ämtern noch immer Gang und Gebe sind, verstärken die Gefühle von Ohnmacht und Hilflosigkeit bei all denjenigen, die den zugrunde gelegten Normen nicht entsprechen können und machen diejenigen, die ihnen entsprechen KÖNNEN zu fremdbestimmten Effizienzmaschinen, die statt eines echten Selbstwertgefühls einen „Fake-Selbstwert“ ausbilden, eine Abhängigkeit von äußerer Bestätigung und „klaren Regeln von oben“. In beiden Varianten geht der Kontakt zum authentischen Selbst verloren, was eine denkbar schlechte Voraussetzung dafür ist, auf die derzeit immer komplexer werdenden Alltags-Anforderungen zuversichtlich, stark und selbstverantwortlich reagieren zu können.
Ursprung und Einordnung des Veto-Prinzips
Das Veto-Prinzip (ehemals Mischpult-Prinzip) wird vielfach im Bereich der Theaterpädagogik verortet, wo dieses Führungskonzept auch zunächst seine erste Realisierung fand. Die Zuordnung dieses Ansatzes zum Begriff „Theater“ greift aber zu kurz. Es geht vielmehr um ein grundsätzlich anderes Verständnis von Führung, nämlich um eines, das Selbstverantwortung, Selbstführung und persönliches Empowerment in den Fokus stellt. Es geht um die Verbindung der drei Ebenen Emotion, Körper und Kognition, und damit um die Möglichkeit, mit allen Facetten unseres Selbst mit anderen vielschichtig und gleichwürdig kommunizieren zu können – jenseits der eigenen beengenden Konditionierungen aus Kindheit und Sozialisation und jenseits von gesellschaftlicher Beschriftung/Bewertung.
Anpassung, Bewertung, Angst und Zensur verhindern die Ausbildung von Identität
Je mehr wir wertenden und zensierenden Kontexten ausgesetzt sind, desto weniger „Kanäle unseres Mischpults“ werden wirksam. Und umgekehrt gilt auch: Je weniger Kanäle meiner selbst mitschwingen, desto mehr bewerte und zensiere ich mich selbst, desto mehr Angst entsteht und desto mehr denke ich, ich müsste mich verstecken und/oder mich schützen. Genau das steht aber einer Entfaltung meiner Persönlichkeit und meinen Grundbedürfnissen entgegen, denn die Angst, sich zu zeigen, steht im Widerspruch zu der zentralen Sehnsucht des Menschen, von anderen gesehen und verstanden zu werden, sich als Mensch voll einzubringen.
Menschen suchen Kooperation und Nähe, werden aber systematisch dazu angehalten, in Konkurrenz und Abgrenzung zueinander zu gehen
Wir Menschen suchen Kooperation und Nähe, lernen aber aufgrund unserer auf Angst, Wettbewerb und Abgrenzung basierenden Sozialisation, uns zu verstellen und zu verstecken – und gegeneinander „anzutreten“ – und damit unser gesamtes Potential NICHT einzubringen und nicht zu entfalten. Dies ist keine „artgerechte Haltung“ des Menschen, denn sie entspricht nicht unseren menschlichen Grundbedürfnissen und führt zu Entfremdungsgefühlen und Sinnverlust.
Wir verlernen es, wir selbst zu sein und unsere Emotionen, Bedürfnisse und Fähigkeiten wahrzunehmen
Wir LERNEN durch familiäre Konditionierung und gesellschaftliche Sozialisation die Angst davor, ICH zu sein, uns als die Person einzubringen, die wir sind und wir verlernen, ganzheitlich zu kommunizieren. Das Veto-Prinzip setzt beim Spiel an, weil es darum geht, den rein kognitiven Kanal um ein Vielfaches zu ERWEITERN, indem wir uns wieder Zugang verschaffen zu den zahlreichen Erfahrungs- und Kommunikationsmöglichkeiten unseres Körpers und unserer Emotionen. Denn auf diese Weise können wir überhaupt erst mit all den uns zur Verfügung stehenden eigenen „Kanälen“ in Schwingung kommen und darüber in eine vielschichtige Kommunikation mit den jeweils anderen kommen.
Darum geht es
Es geht bei der Arbeit nach dem Veto-Prinzip um die tatsächliche, auch und insbesondere körperliche Begegnung im Raum und die Bereitstellung zahlreicher Ausdrucksmittel, um mit allen Facetten unseres Selbst mit anderen vielschichtig und gleichwürdig kommunizieren und kreativ gestalten zu können und auf diese Weise komplexe Probleme zu lösen und gemeinsame Ziele erreichen zu können. Auf diese Weise werden unendlich viele Wege sichtbar, wie alle Beteiligten sich selbst als gestaltend, selbstwirksam und erfolgreich erleben können – auf der Basis des Eigenen und durch eine facettenreiche, verbindende Kommunikation mit anderen.
Mehr Demokratie wagen und eigene autoritäre Konditionierung erkennen:
Die derzeitige Covid 19 Pandemie können wir als einmalige gesellschaftliche Lernsituation begreifen, in der wir alle mit unseren eigenen internalisierten autoritären Mustern konfrontiert werden (welche sich beispielsweise in Verhaltensweisen des rebellischen oder ängstlichen, angepassten Kindheits-Ich äußern) und diese Schritt für Schritt erkennen und überwinden lernen können.
Bezug zur Pandemie
Spätestens seit der Pandemie wird offensichtlich, dass die wichtigste Fähigkeit, die es zu vermitteln gilt, die Kompetenz ist, unsichere, mehrdeutige und komplexe Situationen auszuhalten und konstruktiv, kreativ und eigenverantwortlich damit umzugehen.
Das Unsichere und Mehrdeutige aushalten – auch, wenn es die Perspektiven und Meinungen anderer Menschen betrifft
Das heißt: Unsere Welt wird besser, je mehr Menschen die Fähigkeit besitzen, das Unsichere und Mehrdeutige auszuhalten und konstruktiv und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Dafür müssen wir lernen, aus dem angepassten oder rebellischen Kind-Modus in den Erwachsenen-Modus zu wechseln und Führung/ Verantwortung zu übernehmen oder/und selbstbestimmt kooperieren zu können. Das heißt auch, dass wir vielleicht erstmal einatmen und ausatmen und nicht gleich sauer werden müssen, wenn jemand etwas sagt, das wir nicht so richtig toll finden – und dass wir ja mal versuchen könnten, ob wir nicht vielleicht an irgendeiner Stelle mit unserem Gegenüber mitfühlen können. Oder was Verbindendes finden können. Die wenigsten Menschen sind ja doof. Meistens sind es eher die Umstände, die uns gegeneinander aufbringen. Und: Dass wir immer denken, unsere eigene Perspektive wäre die richtige. Nun ja. Ich denke: Da gibt es noch einiges zu entdecken. Da ist auf jeden Fall noch Luft nach oben.
Weniger „How dare you“ und mehr „I have a dream“
Und was den Zustand der Welt angeht, brauchen wir vielleicht doch weniger „How dare you“ und mehr „I have a dream“ und gemeinsame, große Ziele, die uns nicht verängstigen und resignieren lassen, sondern uns helfen, „MUTausbrüche“ zu kriegen und wirklich etwas zu tun. Wir brauchen konstruktive, in die Zukunft gerichtete, gemeinsame Ziele und möglichst viele Menschen, die stark, zuversichtlich und handlungsfähig bleiben und auf eine menschliche und verbindende Weise ganz bewusst darauf hinleben. Und bei „Fehlern der anderen“ auch mal ein Auge zudrücken und zugewandt und offen bleiben können. Siehe oben. Das mit den Perspektiven.
Die Demokratie lebt vom Gestaltungswillen und der Zuversicht der vielen.
Und wir brauchen Vertrauen in uns selbst und in andere, und darin, dass wir in Kooperation miteinander gemeinsame Ziele verfolgen KÖNNEN – hin zu einer insgesamt menschlicheren Gesellschaft.
Wir brauchen Umfelder, in denen wir demokratisches Handeln erleben und verinnerlichen können.
Die Entwicklung des Veto-Prinzips als Konzept gleichwürdiger, demokratischer Führung basiert auf der Praxiserfahrung, dass Menschen nur dann miteinander kooperieren und demokratische Kernkompetenzen erwerben, wenn entsprechende Umfelder dafür geschaffen werden, in denen demokratisches Denken und Handeln Schritt für Schritt von Grund auf vermittelt, verstärkt und im konkreten, praktischen Handeln verinnerlicht werden können.
Rückfall in autoritäre Verhaltensmuster
In überfordernden Situationen, wie sie in Schulen, bei gemeinsamen Arbeitsprozessen, im Alltag mit Kindern und in der Führung in Unternehmen immer wieder auftreten, wird aus der Not heraus vielfach autoritär (re-)agiert, was die Konflikte und die empfundenen Demütigungen aller Beteiligten nur verschärft und die Ausbildung von Selbstwert verhindert. Viele Menschen haben in ihrer Kindheit nur autoritäres Verhalten ihrer Bezugspersonen als Antwort auf überfordernde Situationen erlebt und können nun als Erwachsene ebenfalls nur so reagieren.
Alternativen zum autoritären „Notlösungs-Reflex“
Um auf der Basis ihrer eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Potentiale Führung/Verantwortung für sich selbst, phasenweise auch für die anderen und grundsätzlich für ein gemeinsames Ziel übernehmen zu können und zu wollen, brauchen Menschen Alternativen zum autoritären Handeln.
Transparente Führungs-Konzepte mit dem Fokus „Erkenne dich selbst“ sind wichtiger als die Vermittlung von Fachwissen
Es braucht transparente Konzepte sowie einen angeleiteten, schrittweisen Prozess, in dem wir konkrete Strategien der Selbstführung lernen und in der Folge dann auch Führung für andere und für gemeinsame Ziele übernehmen können, sowie (Führungs- und Lehr-) Personen, die auf der Basis eigener Integrität als gleichwürdig agierende Rollenmodelle vorleben, was Demokratische Führung bedeutet.
Die Instrumente und Koordinaten des Veto-Prinzips erschließen sich den Teilnehmenden im praktischen Tun. Sie erleben alternative Handlungsweisen und wie es sich für sie selbst anfühlt, wenn Menschen sich gleichwürdig begegnen und in Kooperation miteinander Lösungen für komplexe Herausforderungen finden.
Das Veto-Prinzip kann in künstlerischen Prozessen genauso angewendet werden, wie in Schulen, Hochschulen oder in Arbeits- und Unternehmenskontexten.
Autonomie und Verantwortungsübernahme als Aufmunterung für unsere etwas quengelig gewordene Demokratie
Insgesamt setzt das Veto-Prinzip sowohl inhaltlich als auch strukturell auf Prozesse, die zur Autonomie und Verantwortungsübernahme des*der Einzelnen führen – und auf die Freude an der Selbstbestimmung. Und das könnte sich nachhaltig und stabilisierend auf unsere – ein bisschen quengelig gewordene -Demokratie auswirken und uns alle vielleicht wieder ein bisschen menschlicher und entspannter werden lassen. Und wer es konkreter haben will: