Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist…

„Spiele das Spiel.

Gefährde die Arbeit noch mehr.

Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung.

Aber sei absichtslos.

Vermeide Hintergedanken.

Verschweige nichts.

Sei weich und stark.

Sei schlau, laß dich ein und verachte den Sieg.

Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für ein Zeichen.

Sei erschütterbar.

Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raumund betrachte einen jeden in seinem Bild.

Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig.

Vor allem hab Zeit und nimm Umwege.

Lass dich ablenken.

Mach sozusagen Urlaub.

Überhör keinen Baum und kein Wasser.

Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die Sonne.

Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen,

weich aus in die Menschenleere, pfeife auf das Schicksalsdrama, mißachte das Unglück, zerlach den Konflikt.

Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. 

Geh über die Dörfer.Ich komme dir nach“. 

Peter Handke 

Warum dieses Gedicht? Für mich ist das die Essenz eines Gefühls, von dem ich glaube, das es gerade viele Menschen haben. Ein Gefühl von Transformation, in der wir uns befinden. Und damit direkt verbunden ist ein neuer Führungsstil. Der gerade im Entstehen ist. Weg vom Alten, das uns immer wieder in Planquadrate und Anpassungsleistungen zwingt hin zu einem größeren Vertrauen in uns selbst. Weg vom „Was muss ich tun, wie muss ich mich verbiegen, damit ich in diesem System bestehen kann?“ hin zu „Wer bin ich eigentlich selbst, was KANN ich und wie will ich leben?“ 

Vor allem: Wie und in welcher Welt will ich mit anderen zusammen leben? Denn die Frage danach, wer ich selbst bin, was meine eigenen Bedürfnisse und Grenzen sind und was ich will und kann, ist kein Widerspruch zu etwas Gemeinsamen. Sondern die Bedingung dafür, dass etwas Gemeinsames und Neues überhaupt entstehen kann. 

Jesper Juul nannte das Integrität. Und hat den Zusammenhang zwischen Integrität und dem Willen zur Kooperation schon vor Jahren beschrieben: Erst wenn ich selber mit dem, wer ich bin und was ich brauche vorkommen und Raum einnehmen darf, kann ich auch anderen GÖNNEN, dass auch sie so sein können, wie sie sind und Raum einnehmen dürfen. Je mehr aber ich mich selbst eingeschränkt und unfrei fühle, desto aggressiver reagiere ich auf das Anderssein der anderen. Integrität – die Freiheit, ich selbst sein zu dürfen – ist die Grundvoraussetzung für Mitgefühl und Kooperation mit anderen. 

Wir sind aber zum Gegenteil sozialisiert worden. 

Wir leben in Strukturen, die uns Anpassung und Unterwerfung unter Normen und Standards in unseren Körper eingeschrieben hat. Ich nenne diese Sozialisation zur Anpassung auch die Deformation unserer Selbst zum inneren Gehorsam. Keith Jonstone (der Begründer der Statuslehre) nannte das: Verkrüppelt zu sein im Umgang mit sich selbst. 

Die wenigsten von uns wissen, was sie eigentlich brauchen oder wollen oder wo ihre Grenzen sind, weil wir es so dermaßen gewöhnt sind, uns den äußeren Erwartungen und dem, was angeblich „normal“ ist, anzupassen und unsere inneren Grenzen und wahren Bedürfnisse weg zu drücken. 

Wir lernen NICHT, uns selbst gut zu kennen und in unsere eigenen Fähigkeiten und Gefühle zu vertrauen und quasi „wahr“ im Sinne von authentisch zu sprechen. Sondern wir fragen uns: Was muss ich machen, wie muss ich sprechen und wie muss ich sein, damit ich erfolgreich bin? Bzw. damit ich einen Platz habe in diesem System? 

Und in dieser ständigen Anpassungsleistung sind wir in Konkurrenz zueinander – wer ist „besser“, wer ist „schlechter“, während gleichzeitig eine moralische Forderung nach Mitgefühl und Kooperation da ist. Das ist ein Widerspruch in sich und KANN nicht funktionieren. Ich muss ständig meine eigenen Grenzen und Bedürfnisse übergehen, soll aber nach außen immer NETT und zuvorkommend sein, das real existierende Konkurrenzsystem verleugnen und zum Schein kooperieren. 

Und jetzt muss ich mal kurz fragen: Was IST das denn für ein beknacktes System? Sind wir ECHT damit einverstanden? Ist im Moment alles so, wie wir es haben wollen? 

Das Gemeine/Perfide ist, dass sich nichts ändern kann, wenn alle denken, dass sie sich anpassen müssen, denn dann bleibt alles so, wie es ist. Und noch schlimmer: Wenn wir nur Anpassungsleistung können und unserer eigenen Stimme nicht vertrauen, dann sind wir ohnmächtig und haben das Gefühl, dass uns die Probleme und die Komplexität der Welt überrollen. Dann denken wir: Ich kann als einzelner ja gar nichts machen. Gar nichts bewegen. Es ist alles (so scheiße) wie es ist. Wo soll man denn anfangen? 

Und genau an dieser Stelle ist die Transformation im Gange. In uns selbst. Wir müssen nicht bei den komplexen Problemen im Außen beginnen. Es gibt nämlich in Wahrheit keine Umwelt, sondern nur Welt und wir selbst sind als Mensch Teil der Welt, Teil der Natur, Teil des Ganzen. Und wenn wir einen Teil verändern, verändert sich auch die Welt. Weil wir selbst Welt sind. Und wenn wir lernen, uns selbst zu ändern, ändern wir auch die Welt. Und die größte Veränderung wäre: In uns selbst den Schalter von „Gehorsam“ auf „Selbstverantwortung“ umzustellen. Von Fake-Selbstwert auf Selbstwert und Integrität. Wenn wir aufhören, unsere innersten Bedürfnisse zu unterdrücken, aufhören, uns anzupassen und uns dabei ohnmächtig zu fühlen und stattdessen ANFANGEN, mit unserer Eigenfarbe selbstwirksamer Teil der Welt zu sein. In Kooperation mit den anderen, die auch in ihrem speziellen und einzigartigem  „So-Sein“ berechtigter und wirksamer Teil von Welt sind. 

Stellt euch vor, alle Menschen würden heute eine Veränderung in sich selbst beginnen und wieder anfangen an sich selbst zu glauben – die Welt von morgen wäre eine andere. 

Mit dem Veto-Prinzip lade ich euch ein, diesen Weg hin zu Integrität und einer neuen und gleichwürdigen Führung ganz konkret Schritt für Schritt zu wagen und darin stark zu werden. Im Innen und im Außen. Wir KÖNNEN die Welt verändern. Und darauf freue ich mich. 

„Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über die Dörfer.Ich komme dir nach“.