Der folgende Vortrag (gehalten beim Beltz Forum in Weinheim am 10. November 2018) ist besonders für all diejenigen interessant, die mit dem Mischpult arbeiten, denn JEDE Übung, jedes Ball-Warm-up, jedes Mal „Actionfiguren auf Bahnen“, jedes Spiel, jede Aktion des Mischpult-Konzepts, kann immer wieder auf diese inhaltliche Basis hier zurückgeführt werden. Dadurch wird das Mischpult-Prinzip als künstlerisches Konzept zur Veränderung unserer Perspektive auf Gesellschaft verständlich.
Trump. Brexit. Chemnitz. Maaßen. Ständige Aufregung in den sozialen Medien, die zu immer neuen Ängsten, Verschwörungstheorien, zu Endzeit-Stimmung und sinnlosen Hysterien führt.
Die Welt hat sich verändert.
Ganz grob gefasst erleben wir gerade eine Zuspitzung zwischen Identitätspolitik und Eintreten für eine freie Gesellschaft der Vielfalt auf der einen Seite und Sehnsucht nach Abschottung, Nationalismus und patriarchalen Verhältnissen auf der anderen Seite.
Die allgemeine Stimmung wird unversöhnlicher, hysterischer und beängstigender durch die sozialen Medien und ihrer Mechanismen. Spaltung, Narzissmus, innere Opferhaltung, Befindlichkeit und Kampf um Aufmerksamkeit werden durch Facebook, WhatsApp, Instagram, usw. zunehmend massiv verstärkt und damit zum Problem für unsere Demokratie – ein Kampf um Aufmerksamkeit und „Likes“ ist entbrannt, die Meinungen polarisieren sich, ein vorsichtiges Ausloten der zahlreichen Facetten von menschlicher Kommunikation wird immer seltener.
Dies aber wäre für eine funktionierende Demokratie unverzichtbare Grundlage, quasi der Kitt, der das komplexe Gebilde der Demokratie zusammenhalten könnte. (Hierzu empfehle ich das Interview im aktuellen Spiegel mit Jaron Lanier, Internetkritiker und seit 30 Jahren tätig im Silicon Valley, Spiegel Nr. 45/3.11.2018, „Dieser Mist verdirbt uns alle“, Seite 60-62).
Die Bedeutung der Identitätspolitik für die Demokratie
In einer Demokratie ist Identitätspolitik ein unverzichtbarer Schlüssel. Dadurch sind zahlreiche Perspektiven verschiedenster Minderheiten für den sogenannten „Mainstream“ verständlich geworden, und ebenso die Tatsache, dass sehr viele Menschen nicht dieselben Ausgangsbedingungen haben, wie andere. Kurz: Dass in unserem ganz normalen Alltag sehr ungleiche Machtverhältnisse herrschen und insbesondere diejenigen, die davon profitieren, gar nicht merken, dass es so ist. Das heißt: Unverzichtbare Basis einer funktionierenden Demokratie ist die schrittweise Bewusstwerdung aller vorhandenen Perspektiven für jeden einzelnen Menschen und die eigene Rolle im Verhältnis zu den anderen, denn dies ist die Grundvoraussetzung für Würde, Selbstwertgefühl und echte Teilhabe.
Wir müssen auf die Illusion verzichten, dass nur EINER recht hat. Dass nur EINE Perspektive die richtige ist. Dass wir nur zurück zu starker Autorität müssen und dann wird schon alles wieder. Dass es eine Instanz gibt, die uns von der eigenen Verantwortung entlastet. – Diese Sehnsucht, die Verantwortung an andere, an anderes, abgeben zu wollen, ist das Übel, an der eine funktionierende Demokratie krankt – und sterben kann.
Deswegen kann es nur in die andere Richtung gehen: In die Stärkung des Selbstwertes und Ermächtigung zur Freiheit jedes einzelnen Menschen. Nur auf dieser Basis kann ein Mensch den inneren Raum entwickeln, sich für etwas Gemeinsames einzusetzen und anderen zuzuhören.
Denn: So lange ich nicht gesehen, nicht gehört, nicht wertgeschätzt oder sogar diskriminiert und ausgegrenzt werde, KANN ich – zur bloßen Selbsterhaltung– nichts Anderes tun, als um meine EIGENE Stimme, meine eigene Integrität, meine Existenz kämpfen. Für einen GEMEINSAMEN Impuls in die Zukunft ist dann kein Raum. Das zunehmende Sichtbar-Werden von denjenigen, die Benachteiligung und Diskriminierung erleben (also alle, die durch Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Körperlichkeit, …, von der gedachten gesellschaftlichen Norm abweichen) ist fundamental wichtig zur Erweiterung des gesamtgesellschaftlichen Horizontes – wenn wir die derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen auf menschliche Weise meistern wollen.
Stattdessen durch noch mehr „Grenzen setzen“ und noch mehr Dominanz gegenüber angeblich Abweichenden, verweigern wir die einzig mögliche Lösung und begeben uns langfristig zielsicher in eine menschliche Katastrophe, die uns alle betreffen wird. Das Übel an der Wurzel zu packen, bedeutet: Verschiedenheit und Vielfalt auszuhalten und sich der schmerzhaften Wahrheit, quasi der gesellschaftlichen Botschaft, die uns die „Abweichenden“ und jetzt auch die Geflüchteten bringen, gemeinsam und solidarisch zu stellen: Nicht die „Abweichenden“, nicht die „Fremden“ sind das Problem. Sondern unser Beharren auf einer angeblich überlegenen – in Wahrheit eindimensionalen und rein egoistischen – Perspektive. Wir werden einander alle brauchen. Denn die wirklichen Probleme, die auf uns zukommen, können wir nur in Kooperation miteinander lösen. Die Alternative dazu ist Gewalt und Unmenschlichkeit. Diese Tatsache lässt sich gegenwärtig nur noch mit großem Verdrängungsaufwand leugnen. Wir müssen uns also entscheiden. Entweder Mauern und Grenzen, das hieße: Ignoranz, Abwertung (bis hin zu Auslöschung) der „ANDEREN“ – oder Freiheit und Vielfalt. Beides geht nicht.
Darth Vader oder Luke Skywalker?
Wenn wir uns für Freiheit und gleichberechtigte Vielfalt entscheiden, ist auch das kein Ponyhof. Da wird es einiges zu tun geben. Aber wo möchtet ihr lieber dabei sein: Bei Lord Voldemort oder bei Harry Potter? Bei Darth Vader oder bei Luke Skywalker? Ich dachte nicht, dass es noch mal nötig sein würde, zu sagen: Ich bin für den Weltfrieden und für Menschlichkeit. Aber wir können nicht für den Weltfrieden und für Menschlichkeit sein und gleichzeitig glauben, dass einige Menschen wertvoller sind, als andere.
Gemeinsame Vision
Was MACHEN wir also jetzt? Wenn wir die Gleichwertigkeit verschiedener Menschen und Perspektiven akzeptieren, also die real existierende Vielfalt der Menschen, dann braucht es ALS NÄCHSTEN, darauf aufbauenden Schritt, eine GEMEINSAME Vision für die Zukunft und den Willen und die Fähigkeit, diese GEMEINSAM konstruktiv zu gestalten
Um solche GEMEINSAM GEDACHTEN und in die Zukunft gerichteten Vorhaben überhaupt entwickeln zu können, bei gleichzeitiger Wertschätzung und Einflussnahme verschiedenster Perspektiven, braucht es die demokratische FÄHIGKEIT zur Verantwortung für etwas Gemeinsames, durch Kommunikation und konkrete Gestaltung. Und es braucht den Mut zur Freiheit – im Sinne von Verzicht auf dominierende Instanzen, die uns die Verantwortung abnehmen sollen. Denn eine Instanz, der „Papa“, wird der real existierenden Vielfalt niemals gerecht werden können, womit wir wieder beim Anfang des Problems wären.
Der Schrecken der Freiheit
Es muss also darum gehen, zu lernen, den „Schrecken der Freiheit“ (zur Selbstverantwortung und zur Verantwortung für ein Gemeinsames) auszuhalten und die Freiheit konstruktiv im Sinne einer gemeinsamen Idee gestalten zu können. Das ist derzeitig wahrscheinlich unsere wichtigste Aufgabe.
Das heißt für den Bereich Bildung: Wir müssen – noch viel mehr als jemals zuvor – Demokratische Kernkompetenzen und den Willen und den Mut zur Freiheit VERMITTELN.
Das sind neben Empathie, Toleranz, Vertrauen und Identifikation:
Erstens die Fähigkeit MITEINANDER statt GEGENEINANDER zu reden
Zweitens das Wissen darum, was es BEDEUTET, Verantwortung für sich selbst und andere zu übernehmen und wie genau das individuell umsetzbar ist
Drittens GEMEINSAME Ziele und Visionen zu entwickeln und
Viertens tatsächlich gemeinsam Verantwortung dafür zu übernehmen, also es zu TUN – es also nicht nur moralisch einzufordern.
Um diese hochkomplexen MENSCHLICHEN Fähigkeiten zu vermitteln, die übrigens niemals eine Maschine leisten kann (!), brauchen wir konkrete Erfahrungsräume, in denen wir Verantwortung und Freiheit ÜBEN können und auch scheitern dürfen, ohne dass gleich großer Schaden entsteht, und in denen wir das Positive daran Schritt für Schritt selbst erleben können. Das ist Aufgabe von Bildung.
Warum Vielfalt und Demokratie, wenn das so anstrengend ist?
Die Demokratien sind derzeit bedroht, deswegen ist es so wichtig, sich jetzt damit zu beschäftigen, was Demokratie bedeutet und nicht die Demokratie an sich anzuzweifeln, denn bei allem Untergangs-Gerede müssen wir sehen, dass durch die Demokratien die Dinge in der Welt bisher über sehr lange Zeiträume betrachtet immer BESSER geworden sind, auch wenn vieles noch immer schlecht läuft (nicht aber im Vergleich zu früheren Zeiten!).
Insgesamt wird der Mensch durch Mündigkeit und Mitsprache schlauer. Insgesamt gesehen leben immer mehr Menschen in Freiheit und Wohlstand und verfügen über eine bessere Bildung als beispielsweise noch vor hundert Jahren und davor. Insgesamt werden die Menschen auf der Welt toleranter, gehen Gewalt und Kriege zurück und das Verständnis der Menschen für Vielfalt und Freiheit wächst. Noch in den 50-er Jahren gab es beispielsweise noch gar kein Bewusstsein dafür, was heute durch die #metoo-Debatte öffentlich diskutiert wird. Dass wir so viel über Diskriminierung und Rassismus reden ist ein GUTES Zeichen, denn es bedeutet, dass unser Bewusstsein dafür größer und differenzierter geworden ist.
Aber: Wir dürfen diesen Wohlstand und den selbstverständlich gewordenen Frieden nicht selbstverständlich nehmen, denn es gab leider – historisch gesehen – auch immer retardierende Momente und Purzelbäume rückwärts. Im Moment könnten wir uns gerade in so einem Rückwärts- Purzelbaum befinden…
Demokratie erfordert Mut und Geduld und harte Arbeit und das Einstehen für demokratische Werte fühlt sich nicht immer angenehm an. Demokratie und eine freie Gesellschaft der Vielfalt sind nicht selbstverständlich. Wir müssen die dafür notwendigen Kompetenzen VERMITTELN.
Wer Demokratie will, muss auf die konstruktive Kraft von Vielfalt setzen
Wie? Was müssen wir TUN?
Die größte Herausforderung, die ich im Bereich Bildung sehe, ist, wie wir in Schulen mit Vielfalt, also verschiedensten Perspektiven und Haltungen auf der einen Seite und mit dem allumfassenden gesellschaftlichen Wandel durch die digitale Revolution auf der anderen Seite umgehen wollen. Wie wir mit der ständigen, alltäglichen Irritation KONSTRUKTIV umgehen und gleichzeitig auf der Basis demokratischer Werte die Fähigkeit zur Selbstverantwortung und zur Führung vermitteln wollen. Denn nichts Anderes bedeutet „die Freiheit zur Verantwortung lernen“.
Und da sitzen wir mitten in einer riesigen Baustelle, auf der nichts wirklich gut läuft. Es geht nur auf der Basis eines Perspektivwechsels, nämlich der Erkenntnis, dass nicht die „Abweichenden“ das Problem sind, sondern der Schlüssel zur Lösung.
Pars pro toto: Das Kleine im Großen – oder umgekehrt
Bei mir kam dieser Perspektivwechsel abrupt. Damals, 2004 an einer Hauptschule in Berlin Neukölln: Da erlebte ich die Situation, die jetzt auch auf anderen Ebenen der gesellschaftlichen Realität angekommen ist, zum ersten Mal: Eine Gruppe von Menschen, die außer sich waren, ein Haufen verrückter Kinder: Alle gegeneinander, alle gekränkt, alle um Aufmerksamkeit schreiend, alle liebesbedürftig, aber gleichzeitig nicht mehr in der Lage, offen auf andere und auf Neues, von den eigenen Denk-Horizonten Abweichendes, zuzugehen…
Der Konflikt in dieser Situation war und ist noch immer, dass immer dann, wenn wir systemisch mit der Diversität und dem Demokratischen Handeln an Grenzen geraten, wenn es also wirklich mal herausfordernd wird, dass dann auf VIELFALT, also auf das zunächst mal herausfordernde „Chaos“, mit autoritärem Handeln, Paternalismus und patriarchalen Strukturen reagiert wird. Oder mit GRENZEN SETZEN. Also mit einer Rückwärtsrolle in autoritäres Handeln. Und dann haben wir es sofort wieder mit Herabsetzung, mit Kränkung und in der Folge mit der Kompensation der Kränkung zu tun – mit allen üblen Konsequenzen, an denen unsere Demokratien derzeit kranken. Ein Teufelskreis.
Auf gesellschaftlicher Ebene erleben wir dieselbe Hilflosigkeit, wenn die Demokratie an ihre Grenzen zu stoßen scheint. Da rufen einige dann gleich wieder nach „dem starken Mann“, der es mit „Zucht und Ordnung“ richten soll. Und der Gegenseite, die GEGEN das Patriarchat eintritt, fällt derzeit noch zu wenig Konkretes ein, um das entstandene Machtvakuum konstruktiv zu füllen. Glauben wir so wenig an die Demokratie, dass wir immer gleich nach „Papa“ rufen müssen, wenn es schwierig wird? Was denn nun?? Es ist immer dasselbe: Wollen wir von außen kontrollieren, korrigieren und „Grenzen setzen“? Oder wollen wir langfristig von innen her zur Verantwortung und zur Freiheit erziehen und damit langfristig die Basis legen für eine funktionierende Demokratie?
Demokratie und Gleichwertigkeit von sehr verschiedenen Menschen sind unabdingbar miteinander verbunden. Wenn wir eine demokratische freie Gesellschaft wollen, müssen wir uns der Aufgabe der real existierenden Vielfalt und dem „Schrecken der Selbstverantwortung in unsicheren Zeiten“ wirklich (!) stellen.
Meine persönliche Reaktion auf die systemische Hilflosigkeit des Schulsystems im Umgang mit Vielfalt war, ein Konzept zu entwickeln, um die Führung von EINER Person auf die Schultern von VIELEN zu verteilen: Das Mischpult-Prinzip. Ein Konzept zur schrittweisen Vermittlung „des Schreckens der Freiheit und der Selbstverantwortung“ (und dann irgendwann des Glücks der Freiheit, aber dafür braucht es einen langen Atem…).
Demütigung und Gewalt durch ungleiche Machtverhältnisse
Ich bin damals zunächst einmal der Frage nachgegangen: Wo kommen die Wut und die Gefühle der Demütigung bei den Kindern und Jugendlichen her? Und ich habe – nicht auf den ersten Blick, aber ganz allmählich – herausgefunden: Es ging auch hier im Kleinen um die Demütigung (und Gewalt) durch ungleiche Machtverhältnisse: Um die direkt daraus resultierende Wut darüber, nicht gesehen und nicht gehört zu werden – als Mensch. Es ging um mangelndes Selbstwertgefühl. Deswegen habe ich bei ihren biografischen Geschichten angefangen. Beim Zuhören, Verstehen und Sichtbarmachen ihrer Geschichten. Bei der Stärkung ihres Selbstwerts.
Denn übergeordnet müssen wir – immer – beim Selbstwert und bei der Würde des Menschen anfangen. Wir müssen das Selbstwertgefühl stärken, bzw. überhaupt wiederherstellen und deshalb müssen wir ungleiche Machtverhältnisse und die dazu gehörigen Biografien zunächst einmal verstehen und gleichwertig anerkennen. Und damit die Tatsache, dass jeder Mensch UNTERSCHIEDLICHES symbolisches, geistiges, kulturelles Kapital mitbringt, dass also grundsätzlich die Welt ungerecht ist (!), die Ausgangsressourcen UNGERECHT verteilt sind! Wir müssen deswegen konkrete Instrumente für eine BEWEGLICHE, selbstgesteuerte und jeweils individuelle Kommunikation entwickeln (Beispiel: Die vier demokratischen Führungs-Joker und das individuelle Veto-Recht), um die Vielfalt als selbstverständlichen Ausgangspunkt betrachten zu können, handeln zu können, kommunizieren zu können, ohne dabei persönliche Grenzen zu verletzen. Wir müssen die Angst davor verlieren, etwas falsch zu machen. Nur dann können wir uns menschlich begegnen.
(Einschub: Sensibilisierung für ungleich verteiltes Kapital – Das Kapital-Mischpult. Siehe Youtube-Folge „Rede mal ordentlich, Frau Plath“, Folge „Kapital-Mischpult“).
Gleichzeitig habe ich verstanden, dass diese ganzen Geschichten und Perspektiven, nur dann die ganze Kraft, den ganzen „Zauber“ entwickeln, wenn sie nicht isoliert stehen bleiben, sondern auf etwas Gemeinsames, Zukünftiges gerichtet sind. In der Schule war das – im Kleinen – die gemeinsame Theaterproduktion.
Denn auch in der Schule erleben wir ja schon im Kleinen, was auch im Großen gilt: Schon im alltäglichen „demokratischen Stuhlkreis“ wird klar, dass es zäh und destruktiv wird, wenn jeder nur seine spezifische Perspektive einfordert, ohne Verantwortung für das Gemeinsame zu übernehmen. Aber zu wissen, WIE ich Verantwortung übernehme und es zu TUN, das ist heute ÜBERHAUPT nicht mehr präsent.
Diese Fähigkeit muss Schritt für Schritt gelernt werden. Das ist harte Arbeit. Aber wenn wir damit zumindest im Bildungsbereich erfolgreich sind, dann haben wir in einem Klassenzimmer nicht 27 „abweichende“ Kinder, die uns in den Burnout verfrachten, sondern 27 junge Menschen, die wechselweise Führung und Verantwortung übernehmen können.
Deshalb geht es bei meinem Gesamt-Konzept im Kern um Demokratische FÜHRUNG und um das schrittweise „Erlernen und Aushalten der Freiheit“: Um die Fähigkeit aller Beteiligten, zu FÜHREN, damit eine verantwortungsvolle, wechselnde Führung im Sinne aller anderen möglich wird. Es geht also um die Kompetenz verantwortungsvoll zu führen aber genauso um die Kompetenz, autonom und selbstbestimmt zu folgen. Das ist kein Widerspruch. Denn alle die folgen, können in der nächsten Minute auch führen. Das ist Demokratie.
Die Frage ist also: Wie ermächtigen wir Menschen zur Führung – zur Übernahme von Verantwortung? Und damit zur Freiheit?
Kern-Thema und Ausgangspunkt muss der SELBSTWERT des Menschen sein. Und darauf basierend muss es um Führung, um Verantwortung und das schrittweise Aushalten der Freiheit gehen.
(Einschub: Siehe auch Youtube-Folge „Herrschaft oder Führung“, Rede mal ordentlich, Frau Plath).
Das Mischpult-Prinzip als künstlerisches Konzept
Ich bin mit meinem Konzept immer in Schubladen gesteckt worden. Didaktik. Theater. Pädagogik. Therapie. Kommunikation. Politik. Beziehungsgestaltung. Ich sehe mein Konzept in keiner dieser Schubladen – oder in all diesen und noch hundert weiteren.
Ich verstehe mein Konzept am ehesten als „künstlerisch im Sinne von gesellschaftsverändernd durch Irritation und Aktion“.
Die Irritation besteht darin, zu erkennen und auszuhalten, dass es keine Instanz gibt, die uns von der Verantwortung entlastet. Es gibt niemanden, der lobt, urteilt, bewertet. Es gibt keine Note. Die Irritation der Freiheit wird in der jeweils individuellen eigenen Anverwandlung des Konzeptes für jede*n schrittweise spürbar. Und zwar selbstgesteuert in dem Maße, wie es individuell „aushaltbar“ ist. Denn darum geht es im Ganzen:
Zu erkennen, dass es auch im Großen keine allgemeingültige Instanz gibt, nur eine stetig wachsende Erkenntnis- Wissens- und Erfahrungsgrundlage, auf derer wir immer klügere Entscheidungen – auf gemeinsame Ziele ausgerichtet – treffen können. Aus der Vielzahl grundsätzlich unendlich vieler Möglichkeiten, müssen wir ununterbrochen wählen. Entscheidungen treffen. Und dabei unterscheiden lernen zwischen Menschlichem und Unmenschlichem. Im Kleinen und im Großen. Das ist Freiheit zur Verantwortung. Und darum geht es in diesem Konzept: Schrittweise im Spiel zu verstehen, was das heißt, wie sich das anfühlt, und dann vom Einfachen zum Komplexen schrittweise überall die „Freiheit zur Verantwortung“ aushalten und gestalten zu lernen.
Ich verstehe das Mischpult-Prinzip als eine praktische, konkrete Irritation bei jedem einzelnen Menschen, die im besten Falle zu einem grundsätzlichen Perspektivwechsel im Kleinen, Privaten führt – und damit einen kleinen aber nachhaltigen Beitrag leisten kann, hin zu Mitgliedern einer Gesellschaft, die über ein starkes Selbstwertgefühl verfügen, individuell und ungewöhnlich denken können, gemeinsame Ziele formulieren und für diese Ziele menschlich einstehen und Verantwortung übernehmen.
Auf dieser Grundlage könnten sich im besten Fall noch mehr Menschen auf die extrem fließenden, also sich verändernden Zustände unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation einlassen und ihre Angst vor diesen ganzen ständigen schnellen Veränderungen überwinden.
Auf der Basis eines intakten Selbstwerts können sie darüber hinaus „das Fremde“ an sich herankommen lassen und erkennen, dass wir nur noch durch Kooperation – also GEMEINSAM – unsere derzeitigen (globalen) Probleme lösen können.
Das Konzept ist quasi ein „Kunst-Haus“, indem wir die Freiheit zur Verantwortung Schritt für Schritt erfahren und individuell erleben und verinnerlichen können.
Wir alle müssen ausziehen, das Fürchten zu lernen. Damit es nichts mehr zu befürchten gibt. Tempo! Klarheit! Verantwortung! Veto!
Maike Plath
Prinzipien des Mischpult-Konzepts:
- Sensibilisierung dafür wer führt und wer folgt. Für Machtverhältnisse (diesbezüglich spielerisches Achtsamkeitstraining als ständiger Bestandteil des Konzepts). Wie fühlt sich das konkret an? Wie können wir uns offen und auf Augenhöhe begegnen – ohne dass ungleiche Machtverhältnisse und in der Folge Herabsetzungen und/oder Ohnmachts- und Demütigungsgefühle entstehen?
Beispiel: Spiel „Wahrheit oder Pflicht“ mit dem Nachbarn und mit den vier Demokratischen Führungs-Jokern: Tempo. Klarheit. Verantwortung. Veto. (Wie das geht: Dazu gibt es bald eine Folge bei „Rede mal ordentlich, Frau Plath“).
Sinn des Spiels: Ungleiches Kapital muss offengelegt werden, nicht verschleiert. Dazu braucht es klare Koordinaten, wie ein „Gespräch unter Freunden“ wirklich hergestellt werden kann. Beispiel für solche Koordinaten: Die vier Führungs-Joker.
Demokratische Führung muss Schritt für Schritt transparent gemacht werden, damit jeder Mensch (!) lernt, auf seine Weise Verantwortung zu übernehmen und auf dieser Grundlage SEINE Themen und Perspektiven einzubringen.
- Konzeptionelle Grundstruktur: Der Drei-Schritt.
1 Gemeinsame Ziele.
2 Erfahrungsspielräume nur mit gemeinsamen transparenten Referenzsystem!
3 Reflektieren mithilfe konkreter Gesprächs-Formate (Beispiel: „Gespräch unter Freunden“)
Weitere Prinzipien:
Mischpult als Bild für den Menschen. Siehe unter „Glossar“ bei Mischpultprinzip
Gemeinsames flexibles Referenzsystem, Open Knowledge Prinzip
Low Floor. Wide walls. High ceiling.
Skala statt Tabelle.
Ritualisiertes Regelsystem zur Etablierung einer einschließenden Kommunikation und Wertekultur
Schrittweise Vermittlung (von einfach bis komplex) der Koordinaten Demokratischer Führung und wechselnder Verantwortung (Führung)
Pars pro Toto. (Die Matroschka als Metapher). Das Kleine steht in diesem Konzept grundsätzlich auch für das Große. (Beispiel: Wenn wir im Klassenzimmer das „Chaos der Demokratie“, das anfangs ganz natürlich ist und nur langfristig, konzeptionell und konsequent in konstruktive Ordnung verwandelt werden kann, sofort mit der Forderung nach „Regeln und Grenzen“ beantworten, dann müssen wir die Parallele sehen, die das im Großen bedeutet: Gibt es wirklich nur „Chaos der Vielfalt“ oder „Kontrolle und Grenzen…“? Die großen Dinge fangen im ganz Kleinen an…).
Dieses Konzept ist keinem Fach und keiner „Schublade“ zuzuordnen. Es ist ein neues und zugleich sehr altes „Fach“ – aber in neuen Zeiten. Es heißt Demokratie.
(Wem das jetzt ein bisschen zu rezept-artig vorkam, der kann alles sehr ausführlich lesen in meiner aktuellen Publikation „Befreit euch! Anleitung zur kleinen Bildungsrevolution.“)