Neulich schickt mir Lior einen link zur New York Times. (Lior Shneior ist Tänzer und Choreograph und hat mit mir das Mischpult zu „Tanz und Bewegung“ entwickelt). Der Link führt mich zu einem Text über Daniel Barenboim: Wie dort zu lesen ist, haben wir es mit Barenboim offenbar wieder mit einem Exemplar Mann zu tun, dessen autoritärer, übergriffiger und gewaltsamer Umgang mit anderen Menschen über Jahrzehnte als Voraussetzung für „geniale Kunst“ akzeptiert wurde.
Lior schickt zum Link einen „Daumen hoch“: Nach Dominik Strauß-Kahn, Harvey Weinstein, Kevin Spacey, Dieter Wedel, R. Kelly,… ist das Thema Machtverhältnisse und Missbrauch von Macht nun also auch in der klassischen Musik angekommen. Tatsächlich erstaunlich. In der klassischen Musik und im Bereich Tanz hätte ich gedacht, dass es noch viel länger dauert. Aber vielleicht gibt’s ja noch Hoffnung, dass auch da inzwischen ein Bewusstsein wächst…
Im Bereich Tanz habe auch ich ein paar spannende Erfahrungen zum Thema Machtverhältnisse und Dominanz machen dürfen. Und weil diese Geschichte so eine schöne Pointe hat, erzähle ich sie hier:
Auf der Suche nach einem*r Tänzer*in bzw. Choreograf*in, einer Person also, die im Bereich Tanz Profi ist, stieß ich vor ein paar Jahren in Berlin auf „TanzZeit“. TanzZeit e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der 2005 von der Tänzerin und Choreografin Livia Patrizi zur Vermittlung von zeitgenössischem Tanz an Berliner Schulen gegründet wurde.
Mir war klar, dass sich der partizipative Ansatz des Mischpult-Prinzips vom Theater auf andere Felder übertragen lässt und ich hoffte, eine Person kennen zu lernen, die Lust hatte, mit mir im Bereich Tanz ein weiteres Mischpult zu entwickeln.
Die Gründerin von TanzZeit Berlin lud mich zu einigen Präsentationen ein, wir unterhielten uns, ich dachte: Beeindruckende Frau. Da bleibe ich mal dran, mal sehen, was sich ergibt.
Einige Zeit später beauftragte sie mich, mit den Tänzer*innen von TanzZeit auf der Grundlage des Mischpult-Prinzips eine kleine Produktion zu erarbeiten. Ich freute mich und sagte zu.
Es wurde eine lustige, kleine Katastrophe. Die Tänzer*innen waren beleidigt, weil sie mit einer PÄDAGOGIN eine KÜNSTLERISCHE Produktion erarbeiten sollten.
Also von DER lass ich mir gar nix sagen – ich bin KÜNSTLER*IN!!! – So war die Haltung. Ich dachte: Wartet mal ab, ihr Lieben… Ich war zuversichtlich, weil ich diese Grundhaltung ja zur Genüge kenne und inzwischen weiß, dass sich in der praktischen und intensiven Auseinandersetzung mit dem Mischpult-Ansatz diese Vorbehalte irgendwann auflösen.
Diese Kopf-Verkrampfung „Ich-bin-Künstler! Und deswegen ist alles, was von weitem nach „Pädagogik“ riecht unter meiner Würde“, diese Haltung kenne ich aus zahlreichen Zusammenhängen und ich amüsiere mich inzwischen ein bisschen darüber. Denn diese ewige Abgrenzung zwischen „Kunst“ und „Pädagogik“ ist ein bisschen albern, wenn es nun einmal darum geht, künstlerische Prozesse mit Kindern und Jugendlichen zu initiieren. Vor allem aber bestehen in Bezug auf beide Begriffe diffuse und höchst fragwürdige Vorurteile, die überhaupt nicht zielführend sind.
Was ich in Bezug auf eine anspruchsvolle künstlerische Arbeit mit Jugendlichen für viel wesentlicher halte, ist die Frage nach der Wirkung von ungleichen Machtverhältnissen in stark normativ geprägten Kontexten. Überall dort, wo eine Norm behauptet wird, entstehen stark hierarchisierte Gruppendynamiken, die für einen Lernprozess gerade NICHT förderlich sind – und für einen künstlerischen Gestaltungsprozess schon gar nicht.
Normativität und daraus resultierende ungleiche Machtverhältnisse sind aber aus meiner Sicht auch gesamtgesellschaftlich fragwürdig, weil sie im Angesicht einer zunehmend globalisierten Welt nicht mehr zeitgemäß sind und jegliche Innovation behindern.
Durch die zunehmenden globalen Verflechtungen und gesamtgesellschaftlichen Probleme wie Klimawandel, Migration, und Schwächung der Demokratie haben wir als Menschen nun mal eine neue Verantwortung, müssen uns neu positionieren und zu den Dingen neu ins Verhältnis setzen.
Ein Denken in globalen Zusammenhängen setzt voraus, sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen: Andere Sichtweisen zum eigenen Erleben machen, zum Vertrauten werden lassen.
Begriffe wie RESPEKT, GLEICHBERECHTIGUNG und FRIEDLICHE VERSTÄNDIGUNG können wir nur dann LEBEN, wenn wir immer wieder neu um eine menschliche Kommunikation auf Augenhöhe ringen. Was uns derzeit allerdings zu oft daran hindert, sind ungleich verteilte Machtverhältnisse und ungleiches symbolisches Kapital.
Für eine globale Gesellschaft, die nicht nur von ökonomischen Interessen gesteuert sein soll, sondern von den Bedürfnissen des Menschen ausgeht, wäre deshalb ein Perspektivwechsel in Bezug auf bestehende Machtverhältnisse eine ziemlich gute Idee.
Dazu folgende Beobachtung, was Machtverhältnisse angeht:
In Kontexten, die stark normativ geprägt sind (wie zum Beispiel an Schulen), fühlen sich diejenigen am sichersten und haben am meisten Vorteile, die der herrschenden Norm entsprechen. Das sind quasi die Gold-Marie-Menschen.
Dann gibt es diejenigen, die von der Norm abweichen, sich aber ganz doll anstrengen, dass es möglichst niemand merkt. Das sind die „I can pass!“-Menschen. Diese Leute unterdrücken ihre eigenen Potenziale zugunsten der normierten Erwartungen in der Hoffnung, dass sie dann doch noch als „Gold-Marie-Menschen“ durchgehen, bezahlen dafür aber einen hohen Preis an Selbstwertgefühl (Haltung „innen tief“, nach außen Kläffer oder Teamplayer).
Dann gibt es diejenigen, die von der Norm abweichen, das normative Konstrukt aber durchschauen (entweder intuitiv wie „meine“ Schüler*innen damals an der Neuköllner Hauptschule oder aber auch intellektuell wie zahlreiche Aktivisten*innen und Künstler*innen). Das sind die Rebell*innen. Diese dritte Gruppe entlarvt und hinterfragt das Konstrukt der Normativität und die daraus resultierenden ungleichen Machtverhältnisse und wird mit den eigenen Anliegen und Fähigkeiten laut und sichtbar. Aber auch diese Menschen zahlen einen hohen Preis, denn ihr Widerspruch wird erstmal immer (!) als störend, „egomanisch“, „befindlich“ und „nervig“ empfunden. Dabei erfordert jedes Stückchen hart erkämpfter Anerkennung großen Mut und verursacht jedes Mal den Schmerz, von den „Gold-Marie“- und den „I can pass-Personen“ krass abgewertet zu werden.
Besonders die „I can pass-Menschen“ sind übrigens RICHTIG sauer auf die Rebellen, weil die Rebellen ihre mühsam erkämpften normativen Erfolge natürlich in Frage stellen.
Und als vierte Gruppe gibt es noch die „Pech-Marie-Menschen“. Das sind diejenigen, die von der Norm abweichen, aber keine Kraft und keine Möglichkeiten sehen, sich gegen die dominierende Norm zu wehren. Sie erleben Herabsetzung und Demütigung und fragen sich ihr Leben lang, was mit ihnen „nicht stimmt“.
Die Goldmarie-Menschen sind im Bereich
„Race“ die weißen Menschen,
im Bereich „Gender“ die hetero-normativen Männer,
im Bereich „Class“ die akademisch gebildeten Menschen und
im Bereich „Education“ die weißen, hetero-normativen Jugendlichen mit akademischem Bildungs-Hintergrund.
Die „I-can-pass!“-Menschen sind diejenigen, die in einem oder mehreren der vier Bereiche irgendwo geringeres normatives Kapital mitbringen und verzweifelt darum bemüht sind, diese Tatsache zu verbergen, sich anzupassen und darüber im normierten System Anerkennung zu erhalten.
Die „Rebell*innen“ sind im Bereich
„Race“ die politisch und/oder künstlerisch aktiven und sichtbaren POCs
Im Bereich „Gender“ die politisch und/oder künstlerisch aktiven und sichtbaren LGBTI-Menschen,
Im Bereich „Class“ derzeit kaum jemand, (was interessant ist, da denke ich an Didier Eribon und „Rückkehr nach Reims“, und frage mich, ob das an Schamgefühlen liegt, denn WENN mir an dieser Stelle überhaupt jemand einfällt, dann höchstens Teile der ostdeutschen Pegida-Anhänger*innen und der Trump-Wähler*innen aus den „Fly-over-countries“, die leider noch nicht bemerkt haben, dass rechte Positionen niemals zu mehr Gleichberechtigung führen können) – und
im Bereich „Education“ sind es die rebellierenden Jugendlichen – hauptsächlich an sogenannten „Brennpunktschulen“, aber zunehmend auch anderswo. Und Greta Thunberg sei hier natürlich auch als beeindruckendes Beispiel genannt…
Die „Pech-Marie-Menschen“ sind in allen vier Bereichen die Unsichtbaren.
Grob vereinfacht lasse ich das jetzt mal so stehen, auch wenn es natürlich zahlreiche weitere Facetten gibt: Wie immer denke ich in Skalen, nicht in schematischen Tabellen. Aber um die grundsätzlichen Schnittmengen in diesen emanzipatorischen Prozessen zu veranschaulichen, ist diese Aufteilung in Race, Gender, Class und Education und mit den vier Gruppen vielleicht hilfreich.
Und von „unsichtbar sein“, bzw. „sich für Anerkennung verbiegen“ bis hin zu „sichtbar werden“ und sich emanzipieren – sind es überall ähnliche Stufen und ähnliche schmerzhafte Erfahrungen. Grundsätzlich aber gilt, dass ein Mensch, der sein gesamtes Potential leben kann, ein freier Mensch ist. Und deswegen lohnt sich diese ganze Anstrengung.
Wegen dieser Parallelen bei allen emanzipatorischen Prozessen ist für mich der vierte Bereich, nämlich Bildung (education), der Schlüssel, um in allen anderen Bereichen eine Entwicklung hin zu mehr Selbstermächtigung und Vielfalt zu initiieren.
In unserer globalisierten Welt heute machen normative Konstrukte, über die Dominanz und Gewalt gegenüber abweichenden Menschen ausgeübt wird, keinen Sinn mehr. Denn wir können für die größeren gesellschaftlichen Probleme nur ZUSAMMEN menschliche Lösungen finden. Und logisch: je mehr verschiedenes Potential dafür zur Verfügung steht, desto besser.
Ich könnte aber auch einfach sagen: Ich lebe lieber in einer Welt, in der möglichst viele freie, starke und glückliche Menschen leben und möglichst wenig Gedemütigte. Denn die freien, starken und glücklichen Leute haben wahrscheinlich mehr Bock darauf, Zukunft konstruktiv gemeinsam zu gestalten.
In der Neuköllner Schule damals – und seitdem immer wieder – habe ich gesehen, was passiert, wenn Menschen auf der Basis ihrer Verschiedenheit gemeinsam produktiv werden. Und ich habe gesehen, was es dazu braucht:
Einen herrschaftsfreien Raum – und klare konzeptionelle Regeln (!), ein gemeinsames offenes (!) Wissens-Referenzsystem, auf das alle Zugriff haben (das sind in diesem Konzept die Mischpult-Karten als ständig wachsender, gemeinsamer Wissens-Pool) und die schrittweise Vermittlung von Führungskompetenz. Wenn alle Führung können und wollen – im Sinne von Verantwortung übernehmen – dann wird’s nämlich geil.
Das Mischpult-Prinzip ist mein Beitrag, diese theoretische Idee mit jungen Menschen Schritt für Schritt praktisch und konkret umzusetzen.
Und jetzt zurück zu TanzZeit.
Die „Mama“ von TanzZeit hatte mich also damit beauftragt, mit „ihren“ Tänzer*innen auf der Basis des Mischpult-Prinzips ein gemeinsames kleines Stück Tanz zu entwickeln.
Am Abend des ersten Tages denke ich:
Puha. Wird schwierig. Die sind alle „I can pass-Menschen“. Innen tief. Die meisten so der Typus „Kläffer“. Gekränkt darüber, dass sie als Künstler*innen keinen Durchbruch hatten und nun ihr Geld mit „so pädagogischen Projekten mit Jugendlichen“ verdienen müssen. Aus ihren beruflichen Kontexten als Profi-Tänzer*innen offenbar gewöhnt, dominiert und gedemütigt zu werden, und daher so sozialisiert, sich der herrschenden Norm anzupassen und darüber Anerkennung zu erhalten. So nach dem Motto: Ich will das Solo. Egal, wieviel Scheiße ich dafür fressen und wieviel andere Leute ich dafür wegtreten muss. Ich könnte auch sagen: Ja – eher so auf Konkurrenz getrimmt. (Und an dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich hier nicht Tänzer*innen an sich meine. So, wie ich nie „Menschengruppen an sich“ meine. Mir ist bewusst, dass es im zeitgenössischen Tanz sehr wohl auch die Rebellen gibt… Wie überall. Aber in dieser TanzZeit-Gruppe hatten sich nicht gerade die Neugierigen und Risikobereiten versammelt…).
In der Pause höre ich, wie sie von ihren „Methoden“ in den Tanz-Projekten an den Schulen berichten:
„Also, ich hab da echt so einen Sauhaufen. Ich lass die jetzt immer alle draußen in einer Schlange vor der Tür stehen. Dann mach ich irgendwann die Tür auf. Sobald einer einen Mucks macht oder nicht ordentlich in der Schlange steht, mach ich die Tür wieder zu. Dann müssen die da eben alle länger warten. Neulich ging das über ne Stunde so. Da sind die dann so richtig schön ausgerastet. Nicht mein Problem. Die müssen einfach lernen, wo der Hammer hängt.“
Oha. Denke ich.
Aber es wird noch besser. Die Tänzer*innen wollen kein „Gespräch unter Freunden“. Sie wollen nicht gemeinsam reflektieren. Ein Tänzer baut sich in Körperspannung 10 vor mir auf, eine Ader auf seiner Stirn pulsiert bedrohlich. Er brüllt mich an:
„Ich weiß nicht, ob du das kapierst: Ich bin PERFORMER!!! Ich muss mir hier kein pädagogisches Gequatsche anhören. Du bist hier, um mit uns eine Präsentation zu erarbeiten. DU machst die Ansagen. Fertig. Aus die Maus. Ich sitz doch hier nicht in so nem Pädagogen-Stuhlkreis und verschwende meine Zeit! Ob ich was gut performed habe, das musst DU doch wissen! Aber offenbar hast du ja keine Ahnung…“
Oha. Denke ich.
Aber es wird NOCH besser. Nach zwei Tagen sitzen alle demonstrativ gekränkt in irgendwelchen Ecken rum und erklären mir vorwurfsvoll, dass „wir jetzt endlich mit der Präsentation anfangen sollen“. Ich erkläre, dass wir längst dabei sind und dass es schön wäre, wenn wir jetzt weitermachen könnten.
„Dann mach jetzt endlich ne Ansage!“, sagt eine. Ich mache eine Ansage. Aber es ist die Falsche. „Das meinte ich nicht!“, kommt eine giftige Antwort, „ich meinte, dass du endlich als Choreografin tätig werden sollst. Dafür wirst du doch hier bezahlt. Aber davon hast du offenbar keine Ahnung. Ich mach doch hier nicht den Job für dich!“.
Ich denke plötzlich, dass es geil wäre, wenn ich zwei Monate Zeit mit dieser Gruppe hätte. Irgendwo auf dem Land. Dann würde ich sie so lange rum bocken lassen, bis sie erschöpft sind. Aber das geht leider nicht. Ich habe nur eine Woche.
Ich lasse sie bocken. Aber natürlich verstehen sie es nicht. Sie werden immer wütender, dass „ich ihnen nicht die autoritäre Chefin mache und endlich mit der Choreografie anfange“. Aber alles andere, was ich anzubieten habe, verweigern sie stur. Auf der Status-Skala probiere ich alle Facetten. Eine rennt heulend raus. Drei andere sitzen an der Wand auf dem Boden und reden sich in Rage über diese blöde Pädagogen-Trulla, „die uns verarscht“.
Es ist das längste und lustigste Veto, das ich je erlebt habe. Ich rede über Herrschaftsfreiheit, über das Konzept, über einzelne Schritte, die sie jetzt erfahren können, über den Sinn dieser Woche, der ja nicht darin liegt, dass sie „Schwanensee“ tanzen, sondern sich künstlerisch einbringen, kooperieren, was Neues kennen lernen, das ihnen bei ihrer Arbeit mit den Jugendlichen ein paar wertvolle Erkenntnisse bescheren könnte.
Aber es nützt alles nichts. Die Gruppe beschwert sich hinter meinem Rücken bitterlich bei ihrer „Mama“: „Diese Maike Plath, die ist doof! Wir wollen die nicht mehr!“.
Die Mama von TanzZeit schreibt mir eine Mail, dass ich bitte trotzdem unbedingt weitermachen soll, dass sie meine Arbeit sehr schätzt, dass es für die Tänzer*innen wichtig ist, dass sie diese Erfahrung machen. Dummerweise hängt in der Mail ihre Antwort auf die Beschwerden der Tänzer*innen mit dran. Darin schreibt sie sinngemäß, dass ich eine „blöde Pädagogen-Trulla bin und sie nix dafür kann“.
Damit ist natürlich so ein bisschen das Machtverhältnisse-Thema im Arsch. Die Tänzer*innen haben jetzt das offizielle ok „von oben“ weiterhin in ihrer Opferhaltung (innen tief) zu verbleiben. Heißt im Klartext: In den letzten zwei Tagen dieser Woche ist keine Öffnung und keine Weiter-Entwicklung mehr zu erwarten. Jetzt könnten es wirklich nur noch die zwei Monate auf dem Land retten. Und die gibts nicht. Tja. Jetzt tatsächlich: aus die Maus.
Aber ich muss trotzdem lachen. Geil: Diese Tänzer*innen wollen „Daniel Barenboim“!
Wie diese Haltung ihre Arbeit mit den Jugendlichen befruchten soll, ist mir allerdings sehr rätselhaft. Ich kann an dieser Stelle auf jeden Fall nicht weiterhelfen. Ich bin raus.
Beim Abschied sage ich: „Und ich hoffe, wir sehen uns mal wieder. In besserer Stimmung…“ Eine Tänzerin blafft zurück: „Oh Gott, nee, ich hoffe NICHT, dass wir uns noch mal wiedersehen!“
Ortswechsel. Mit meiner Kollegin Stefanie bin ich kurze Zeit später bei der Mercator Stiftung eingeladen. Wir sitzen mit mehreren Personen an einem großen Tisch. Die Stiftung hat uns eingeladen, weil sie an meinem „Mischpult-Prinzip“ interessiert sind. Ich halte einen kleinen Vortrag, der aber zunehmend zum Mini-Workshop wird. Bald ist der gesamte große Tisch voller Karten. Tempo. Klarheit. Verantwortung. Veto. Wir könnten quasi gleich anfangen…
Die Mercator Stiftung schreibt uns allerdings wenige Tage später, dass sie sehr beeindruckt sind von unserem Konzept, dass sie aber derzeit Gelder in die ENTWICKLUNG von Konzepten investieren wollen und wir ja schon 10 Jahre Entwicklung hinter uns haben, vor allem aber ja bereits über ein außerordentlich durchdachtes Konzept verfügen.
Schade, aber wir haben natürlich nicht nur auf dieses eine Pferd gesetzt und werben andere Gelder ein. Kurz darauf erfahre ich, dass TanzZeit eine dreijährige Förderung von Mercator erhält, um ein Konzept für ihre Arbeit an Schulen zu entwickeln.
Und dann lerne ich Lior Shneior kennen. Ein Tänzer und Choreograf, der das Mischpult-Prinzip nicht für ein pädagogisches Instrument hält – sondern für eine „radikale künstlerische Idee“. Wir entwickeln über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg gemeinsam das Mischpult für Tanz und Bewegung.
Und dann kommt der Tag, als es doch wieder eine Begegnung mit TanzZeit gibt. Eine Tänzerin von TanzZeit nimmt an einem unseren ACT Tanz-Workshops Teil. Gute Stimmung, gutes Arbeiten, alles fein. Wie immer lasse ich am Ende alle Karten von den Teilnehmenden per Handy abfotografieren.
Lior steht mit einem kleinen Stapel unserer neu entwickelten Karten unschlüssig am Rand. „Willst du die jetzt nicht zum Abfotografieren hinlegen?“, frage ich. Lior zögert: „Ich weiß nicht, ich habe irgendwie ein komisches Gefühl wegen der Tänzerin von TanzZeit…“. Ich hake nach „Denkst du, dass die uns das klauen wollen? Ich lasse doch sowieso immer alles abfotografieren…“ Lior macht ein skeptisches Gesicht. „Ok“, lenke ich ein, „dann legen wir die neuen Karten, die noch gar nicht veröffentlicht sind, jetzt erstmal nicht hin“. Lior packt den Stapel in seine Tasche und ich komme mir kleingeistig vor.
Auf dem Weg nach Hause spreche ich die Situation noch mal an. „Was war das vorhin? Traust du denen von TanzZeit nicht so richtig? Also ich finde: Wir haben doch nix zu verbergen. Und umso besser, wenn die sich jetzt auf diesem Wege dann doch noch dem Mischpult annähern. Dann arbeiten die mit den Jugendlichen jetzt einfach mal ein bisschen zeitgemäßer und weniger autoritär. Das ist doch für alle gut!“
Aber Lior schaut skeptisch… Er erzählt, dass auch er gerade einen Kooperationsversuch mit TanzZeit hinter sich hat. Und offenbar war das – wie bei mir – wohl keine wirklich überzeugende Erfahrung. Ich habe spontan wieder das beeindruckende Bild des vor Zorn pulsierenden PERFORMERS vor Augen und muss lachen…
Aber: Egal. Wir vertiefen das Thema nicht weiter und gehen stattdessen ein Glas Rotwein trinken.
Letzten Monat dann präsentiert TanzZeit eine neue Website mit den Ergebnissen ihrer Mercator-Förderung. Sie haben nun ein Konzept für Tanz „entwickelt“.
In den Kapiteln 4 („thematisieren“) und 6 („choreografieren) wird deutlich, wer unsere größten und wahren Fans sind: TanzZeit. (!)
Schön. Sie finden es offenbar ganz toll. Es bleibt bei mir nur der leise Zweifel, ob sie es verstanden haben (siehe Blog Eintrag vom 24. Februar 2019: „Warum die VETO-Karte der Schlüssel zum Mischpult-Prinzip ist“).
Sie haben auch „vergessen“, ihre Quelle anzugeben.
Aber wenn’s der Sache dient, was soll`s… Vielleicht stehen dann keine Kinder mehr vor irgendwelchen Türen Schlange und dann wäre es das ja auf jeden Fall wert.