Paradigmenwechsel zu echter gleichwürdiger Führung

Zum Veto-Recht in Schulen und in unserer Gesellschaft

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In meinem letzten Blog Eintrag habe ich beschrieben, warum das Veto-Recht für mich der quasi der Fluss ist, der das „Land des inneren Gehorsams“ vom „Land der inneren Freiheit“ trennt und warum ich mein Konzept umbenannt habe. Es gibt offenbar große Widerstände gegen diese Einführung des Vetos an Schulen, dabei hat es längst begonnen. Denn:

Diese ganze Sache beginnt mit einem Prozess in uns selbst – und nicht mit der vermeintlich (!) krassen Maßnahme im Außen. Es geht NICHT darum, dass plötzlich alle machen dürfen, was sie wollen und dann komplett durchdrehen – das wäre eine durch und durch aus dem „Land des inneren Gehorsams“ gedachte Perspektive.

Der blinde Fleck in unserem Bildungs- und Führungsverständnis

Worum es in Wahrheit geht ist der Vorschlag eines Paradigmenwechsels, der längst in vollem Gange ist. Mir geht es hier darum, einen blinden Fleck in unserem Bildungsverständnis – nämlich einen gewissen Aspekt von Gewalt in unserer Führungskultur an Schulen und anderswo – deutlich zu benennen und da mal die helle Taschenlampe drauf zu richten. Quasi ins Licht des Bewusstseins zu bringen. Damit wir einen inzwischen schon schwer zu ignorierenden Widerspruch endlich auflösen und autoritäre Strukturen endlich WIRKLICH hinter uns lassen – und durch eine starke und gleichwürdige Führung ersetzen können.

Autoritäre Strukturen und Rassismus als Problem erkennen

Ich behaupte, dass in unseren Schulen und Institutionen ein ähnlicher Mechanismus herrscht, wie beim Thema Rassismus. Der einzelne Mensch weist den vermeintlichen „Vorwurf“ autoritärer Denk- und Verhaltensweisen empört zurück, statt zu begreifen, dass es gar nicht um einen Vorwurf geht – dass wir aber das Problem Rassismus nur abbauen können, wenn wir mal auf diesen Reflex verzichten, es immer weit von uns zu weisen – und wenn wir stattdessen zumindest mal versuchen, kritisch HINzuschauen, wo das Problem überall (auch in uns) auftaucht. Nicht wegreden, wäre die Devise, sondern den Mut aufzubringen, dahin zu gucken, wo es vielleicht nicht so angenehm ist. Das wäre ein Anfang.

Ein Problem kann nur behoben werden, wenn wir zugeben, dass es ein Problem gibt.

Und in unseren Schulen und insgesamt in unserem System existiert noch immer autoritäres Denken und Handeln, das von vielen als Gewalt erlebt wird. Mit allen fatalen Folgen für die Psyche und damit dann auch für den Zustand unserer Gesellschaft insgesamt. Und genau wie beim Thema Rassismus, als spezifischer Form von Gewalt, ist auch die autoritäre Gewalt nicht etwas individuelles, persönliches, sondern etwas Systemisches:

Die autoritäre Matrix ist in uns allen eingeschrieben

Nicht der einzelne Mensch IST autoritär, sondern in uns allen ist eine autoritäre Matrix eingeschrieben, die wir unbewusst verinnerlicht haben und die wir ohne böse Absicht weiterleben und weitergeben. Und das ist wie beim Thema Rassismus:

Nicht DU persönlich BIST rassistisch. Aber du bist Teil einer rassistischen Matrix, so lange du ernsthaft glaubst, NIE rassistisch zu handeln oder zu denken. Und je mehr du dich über diesen Satz jetzt aufregst, desto tiefer bist du drin in der rassistischen Matrix – ohne sie sehen zu können. Denn ansonsten gäbe es ja gar keinen Grund, unangenehme Gefühle zu kriegen. Wenn wir uns innerlich aufregen und sauer werden, ist das immer ein Indiz dafür, dass wir mit einem Schatten in uns konfrontiert sind. Mit einer Seite in uns, die wir nicht anschauen wollen. Wer sich aufregt, demonstriert bereits, dass er/sie/es betroffen ist. Denn ansonsten WÜRDEN wir uns nicht aufregen.

So, wie wir den strukturellen Rassismus in unserem Land verdrängen und stattdessen so eifrig darum bemüht sind, „Beweise“ dafür anzubringen, wie dermaßen NICHT rassistisch wir sind (zum Beispiel „Rassismusfreie Schule“ und andere Selbstbenennungen), verdrängen wir auch die autoritäre Struktur unseres Bildungs-Systems. WAS? ICH autoritär?? Ich bin ein durch und durch demokratisch und gleichwürdig denkender und handelnder High-Quality-Pädagoge!

Und genau hier liegt der Beweis dafür, dass es eben NICHT so ist. Denn wäre es so, dann gäbe es keine einzige Schule in Deutschland mehr ohne Veto-Recht.

Beim Veto-Recht geht es lediglich darum, einem Kind den Ausweg in die innere Freiheit zu ermöglichen, wenn es von Herrschaft und Unterdrückung, also vom Überfahren der eigenen Grenzen bedroht ist.

Dass wir dafür so wenig Gespür haben, beschäftigt mich seit langem, denn was da dauernd passiert, sind gewaltvolle Akte, die Schäden hinterlassen. Wo hat diese scheinbare Blindheit bzw. Gefühllosigkeit ihren Ursprung? EINE Erklärung ist auf jeden Fall in der nicht wirklichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Erziehung zu sehen. Relikte davon „tröpfeln ständig irgendwo durch“, ohne dass wir das bewusst hinterfragen. Das möchte ich kurz  veranschaulichen:

Woher kommt diese Haltung, dass die Bedürfnisse eines Kindes irgendwie verdächtig bzw. nicht ganz ernst zu nehmen sind?

Vor Jesper Juul betrachtete man Kinder weitgehend als unfertige Wesen, die es zu er-ZIEHEN – also irgendwo HIN-zuziehen galt. Das Wort ZIEHEN sagt schon alles: Was das Kind wollte, war egal – oder irgendwie verdächtig. Den Bedürfnissen eines Kindes konnte mensch irgendwie nicht trauen. Es musste also zu seinem Glück GE-ZOGEN, also ER-ZOGEN werden. Im Zweifel mit Gewalt – nämlich mit Belohnung, Bestrafung oder Manipulation. (Wer diese Mittel beispielsweise in der Beziehung mit seinem*r Partner*in anwendet, erntet Kritik – DA fällt es uns teilweise inzwischen auf – Halleluja – aber mit Kindern kann mensch es ja machen…, oder nicht…??)

Diese gewaltvolle Haltung des Er-ZIEHENS durch Belohnung, Bestrafung, Manipulation (von der übrigens auch die Bewertung nach Noten eine verwandte Variante ist), wurde während der Zeit des National-Sozialismus insbesondere von Johanna Harer in ihrem berühmten Erziehungsratgeber: „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ ins Bewusstsein der Deutschen gezimmert – und geistert dort bis heute mehr oder weniger unreflektiert herum – wie ein alter Schloss-Geist.

Was viele nicht wissen: Der zutiefst autoritäre Erziehungs-Bestseller von Johanna Harer wurde bis in die 80-er Jahre immer wieder neu aufgelegt – mit dem wortwörtlich selben Inhalt und nur leicht verändertem Titel: „Die Mutter und ihr erstes Kind“. Er prägte die Erziehung von Generationen und die darin manifestierte gewaltvolle und menschenverachtende Haltung dringt bis heute immer wieder in spontan und unbewusst geäußerten Bemerkungen an die Oberfläche. Dieses: “Ich weiß, was richtig für dich ist”… Diese unhinterfragte Haltung ist ein Indiz dafür, dass in unseren deutschen Seelen-Kellern noch lange nicht ausreichend aufgeräumt und durchgelüftet wurde…

Erst Jesper Juul und ähnlich aufgeklärte Pädagog*innen schafften es Schritt für Schritt, die Perspektive der Erwachsenen auf ihre Kinder in Richtung Würde, Respekt und Gleichwürdigkeit zu verändern. Natürlich erreichten auch sie nicht alle. Aber es lässt sich europaweit in den letzten 20-30 Jahren doch eine deutliche Veränderung in Richtung liebevolle und zugewandte Kindererziehung beobachten. Eine Greta Thunberg wäre nach den Prinzipien der Johanna Harer gar nicht möglich gewesen.

In der Kindererziehung ein Paradigmen-Wechsel hin zu Gleichwürdigkeit und Menschlichkeit. Warum nicht in unseren Schulen – und insgesamt in unserer Gesellschaft?

Es lässt sich also bei der Kindererziehung ein Paradigmen-Wechsel hin zu mehr Gleichwürdigkeit und Menschlichkeit beobachten. Warum aber bleibt dieser in den Schulen aus?

Und wer jetzt behauptet, dass dieser Paradigmenwechsel doch längst in den Schulen angekommen sei, betreibt meiner Ansicht schon wieder diese „Ich-guck-dann-mal-weg“- oder „Es-gibt-kein-Problem-Bequemlichkeit“, statt sich wirklich mal zu fragen, ob die Haltung, die Jesper Juul beschreibt, WIRKLICH in den Schulen angekommen ist:

Haben alle Schüler*innen ein ernst gemeintes Veto-Recht? Nein? Ist ihre „Schulkarriere“ von Noten bzw. Beurteilungen seitens der Lehrpersonen abhängig? Ja? Lernen die Kinder freiwillig oder braucht es äußeren Druck, um sie irgendwohin zu ZIEHEN? Ja? … Ok – ich belasse es erstmal bei diesen Fragen…

Das Unbehagen der Eltern

Dass etwas nicht stimmt in deutschen Klassenzimmern, lässt sich auch daran ablesen, dass der Paradigmenwechsel in der Elternerziehung bei Eltern dazu geführt hat, dass sie nun eine gesunde und nahe Bindung zu ihren Kindern haben – und daher die unausgesprochene Gewalt an Schulen spüren – in Form eines Unbehagens, das sie sich aber leider noch nicht trauen, genauer anzuschauen und dann zu benennen. Viele empfinden große Widerstände, ihr Kind in die „Abrichtungs-Anstalt“ zu schicken, lassen sich aber mit der Angst-Mache einschüchtern, ihr Kind habe „später im Leben andernfalls keine Chance“, wenn es sich jetzt nicht den Bedingungen der Schule unterwirft.

Das ist aber ein Angst-Argument und passt damit genau in die autoritäre Denkweise der Manipulation: Die Bedürfnisse der Eltern sollen durch ein zukünftiges Angst-Szenario im Keim erstickt werden: Nur, wer einwandfrei funktioniert, hat eine Chance auf ein glückliches Leben.

Und diese Behauptung ist die ärgerlichste Lüge von allen. Wenn wir irgendetwas wissen, ist es dies:

Wer sehr früh seine eigenen Bedürfnisse unterdrücken und sich immer an fremden Erwartungen und normierten Leistungsanforderungen ausrichten muss, entwickelt kein Selbstwertgefühl und keine eigene Identität. Es ist inzwischen bewiesen, dass diese Entwicklung fatale Folgen hat und dass sie mit dafür verantwortlich ist, dass Menschen nationalistischen und totalitären Gesinnungen zuneigen.

Es ist richtig, dass unser bestehendes Schulsystem es allen Beteiligten gerade nicht leicht macht. Es wird ein RIESIGER Druck aufgebaut, wie WICHTIG die nächste Leistungskontrolle, die nächste Note, die nächste Prüfung ist. Jahrelang habe ich erlebt, was für ein unfassbares Drama es zu sein scheint, wenn Jugendliche eine Woche für Theaterproben beurlaubt werden müssen. EINE Woche FACH-UNTERRICHT fällt aus! Mein Gott! – Jetzt konnten wir dann erleben, wie dieser wahnsinnig wichtige FACH-UNTERRICHT dann einfach mal monatelang ausfiel. In der Pandemie schien die Aufrechterhaltung des Unterrichts nicht die oberste Priorität zu sein.

Und natürlich ist das eine Katastrophe (!) – und kein Beweis dafür, dass Kinder keinen Unterricht brauchen. Aber der widersprüchliche Umgang mit dem gesamten Thema Bildung wurde mal wieder offensichtlich und könnte uns jetzt tatsächlich mal ermutigen, das Problem anschauen zu wollen:

Wie ist unser Blick auf Heranwachsende – und überhaupt auf Menschen – wenn wir glauben, dass es Druck und Manipulation braucht, um sie zum Lernen, zum Arbeiten, zum „Funktionieren“ zu ZIEHEN?

Und was wäre, wenn wir einfach mal mit dieser Sache anfangen:

Den Begriff der Gleichwürdigkeit von Jesper Juul aus unserem privaten Alltag hinaus in die Gesellschaft zu übertragen? Pars pro toto? (Das Kleine steht für das Große). Und zuzulassen, was passiert, wenn unser Gegenüber das Recht bekommt, zu dem, was wir vorschlagen, auch „Nein“ sagen zu dürfen?

Wäre das wirklich „das Ende“? Und wenn ja: Das Ende WOVON… ?

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… Wer Lust und Mut hat, das Veto-Prinzip und damit einen anderen und gleichwürdigen Führungs-Stil kennen zu lernen, kann hier – und unter „Veranstaltungen & Workshops“ weitere Infos zur Weiterbildung finden:

Die Weiterbildung

Um den Rubikon zu einer gleichwürdigen Haltung zu überschreiten, also den Fluss des Vetos zu durchqueren und sich dann im Land der inneren Freiheit zurecht zu finden, brauchen wir zunächst die Begleitung von Bergführer*innen (Führungstyp Schildkröte) und neue „Landkarten“ (andere Didaktik) zur Orientierung. Denn die alten Landkarten aus dem „Land des Gehorsams“ können uns hier keine Orientierung bieten. Irgendwann können wir uns im Land der inneren Freiheit dann auch alleine zurechtfinden und unsere eigenen Wege und Routen finden. Und wenn wir uns das zutrauen, in einem letzten Schritt auch die Führung anderer – durch das für andere noch neue Gelände. 


Um diesen Prozess zur inneren Freiheit und natürlichen Autorität geht es komprimiert in meiner neuen Weiterbildung und den vier neuen ACT-Führungs-Workshops. 
 


Die Weiterbildung bietet die Möglichkeit mit einer festen Gruppe fünf aufeinander aufbauende Intensiv-Module zu erleben. 
 


Die ACT- Führungs-Workshops dagegen sind einzeln buchbar und geben jeweils Einblick in EINEN thematischen Baustein des Veto-Führungstrainings. 
 


Und darum geht es: 

In erster Linie um dich selbst: Folgst du noch oder führst du schon? – In deinem beruflichen Umfeld, in deinen Beziehungen, in deinem Alltag? 
Wo führst du NICHT und unterwirfst dich stattdessen den Erwartungen anderer? WARUM machst du das und wo fühlst du dich damit gut und wo NICHT? Warum fällt es dir schwer, „Nein“ zu sagen und das „Nein“ von anderen zu akzeptieren? Und was hat das mit Führung und natürlicher Autorität zu tun?  
 


Weitere Fragen auf dem Weg zur inneren Freiheit und zur natürlichen Autorität:



Wovor habe ich eigentlich Angst, wenn ich anderen ein „Nein“ erlaube?


Warum löst der Widerstand von anderen ein so unangenehmes Gefühl in mir aus?


Was versuche ich bei mir selber zu verdrängen, bzw. NICHT anzuschauen?


Woher kommt mein Unbehagen beim Veto? Sowohl, wenn ich es von anderen erfahre, als auch, wenn ich es selbst anwende?


Wem will ich gefallen?


Was denke ich verteidigen zu müssen?


Wie will ich als Lehr- und Führungsperson eigentlich sein und was will ich langfristig erreichen?


Wo handle ich auf der Basis meiner eigenen Werte (welches SIND meine eigenen Werte?) und wo handle ich fremdbestimmt?


Wo in meinem persönlichen Alltag bin ich ebenfalls fremdbestimmt – und warum eigentlich?

Wo – in welchen Situationen – bin ich Erdmännchen oder Kläffer oder Löwe – und wie wäre meine Version des Führungstyps Schildkröte? Sowohl im beruflichen wie auch im privaten Leben?


Was fehlt mir, um klar und deutlich zu sagen „Ich will“ und entsprechend zu handeln?


Was muss ich tun, um ein authentischer und freier Mensch zu sein – eine natürliche Autorität?


Was muss ich tun, um Regie über mein eigenes Leben zu führen und wie kann ich dabei ein „Role Model“ für andere sein?


Wie kann ich Führung übernehmen, ohne mich fremden Erwartungen zu unterwerfen bzw. selbst autoritär zu handeln, sondern stattdessen natürliche Autorität zu SEIN – in allen Lebenskontexten –  als der Mensch, der ich bin?
 


Gearbeitet wird mit dem Instrument des Mischpults. 

Folgende Konzept-Koordinaten bilden darüber hinaus die Basis für das Veto-Prinzip als Gesamtkonzept:


Das Veto-Prinzip: Konzeptkoordinaten

Arbeit mit den sieben demokratischen Führungs-Jokern: 


Veto. Tempo. Klarheit. Verantwortung. Störgefühl. Freispiel (Aussteigen und selbst fahren). Blick von außen.



Das Mischpult



Arbeit nach dem Dreischritt (Ziel, Erfahrungsspielraum, Reflexion)
 


Werte statt Normen
 


Orientierung an Skalen statt an vorgegebenen Standards („Skala statt Tabelle“)
 


Prinzip des Offenen Wissens
 


Klar geregelte Spielfelder, Koordinaten zur Orientierung und Selbststeuerung nach Skalen-Prinzip
 


Training Führungskompetenz auf Basis der Statuslehre und den Vier Führungs-
 
Statustypen: Löwe, Kläffer, Erdmännchen, Schildkröte
 


Arbeit auf den Ebenen: Kognition. Emotion. Körper. Spiel.
 


Narrative und Bilder
 



Weitere Informationen dazu findet ihr hier.
Und in meinem aktuellen Blog Eintrag hier.
 
Informationen zur Anmeldung, Orte und Termine zur Weiterbildung und den ACT Führungs-Workshops findet ihr hier.
 


Insgesamt findet ihr alle meine Veranstaltungen zum Veto Prinzip auf meiner Seite unter „Veranstaltungen und Workshops“.